Grundbegriffe der lateinischen Grammatik ^
Wortarten, Satzglieder, Wertigkeit, Kasuslehre
^ I Wortarten: >
Man unterscheidet zwischen flektierbaren (veränderlichen) und nicht flektierbaren (unveränderlichen) Wörtern.
^ 1. Flektierbare (abwandelbare) Wortarten: >
Flektierbar sind Nomina (Deklination) und Verben (Konjugation).
^ 1.1. Nomen >
Man unterscheidet zwischen Substantiven (Hauptwörtern), Adjektiven (Eigenschaftswörtern), Pronomina (Fürwörtern), Artikeln und Numeralia (Zahlwörtern).
Nomina sind deklinierbar, d.h. abwandelbar nach Kasus (Fall), Numerus (Zahl) und Genus (Geschlecht).
- ^ Kasus (Fall)
- ^ Numerus (Zahl): Sg. (Singular - Einzahl), Pl. (Plural - Mehrzahl)
- ^ Genus (Geschlecht): masculinum (m; männlich), femininum (f; weiblich), neutrum (n; sächlich)
Jedes Substantiv hat ein grammatikalisches Geschlecht.
z.B.: domus (feminin) - das Haus (im Dt. neutrum)
Als Substantiv können auch Adjektive verwendet werden, z.B.: parvus - der Kleine.
^ 1.1.2. Adjektiv (Eigenschaftswort)
z.B.: magnus - groß; bei Bezug auf ein Substantiv mit diesem in allen Bestimmungsstücken (Geschlecht, Fall, Zahl) übereingestimmt (sog. Kongruenz): domus magna - ein großes Haus (Nominativ Singular Femininum: Nom. Sg. f.)
Steigerungsstufen:
Es gibt im Lateinischen keinen Artikel. domus kann bedeutet: das Haus, ein Haus oder nur: Haus. (Der Artikel der => romanischen Sprachen ist aus dem Demonstrativpronomen ille hervorgegangen).
^ < 1.2. Verbum (Zeitwort)
Man unterscheidet zwischen finiten und infiniten Verbalformen:
=> automatische Konjugation von Verben
^ 1.2.1. Finite Verbalformen, sind konjugierbar, d.h. abwandelbar nach:
- ^ 1.2.1.1. Person: 1., 2., 3. Person: laudo, laudas, laudat - ich lobe, du lobst, er lobt
- ^ 1.2.1.2. Numerus (Zahl): Singular (Sg.), Plural (Pl.): laudo, laudamus - ich lobe, wir loben
- ^ 1.2.1.3. Tempus (Zeit): Präsens, Imperfekt, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, Futur II: laudo, laudabam, laudavi, laudaveram, laudabo, laudavero - ich lobe, ich lobte, ich werde loben
- ^ 1.2.1.4. Genus verbi (Tätigkeitsform): aktiv/passiv: laudo / laudor - ich lobe / ich werde gelobt; vertor - ich werde gedreht (passiv), ich drehe mich (medium, im Dt. oft reflexiv oder intransitiv)
Einige Verben haben nur passive Formen, aber keine passive Bedeutung, sogenannte Deponentia, z.B. loquor - 'ich äußere mich', ich spreche
- ^ 1.2.1.5. Modus (Aussageweise): Indikativ (Wirklichkeitsform, reale Tatsachen), Konjunktiv (Möglichkeitsform), Imperativ (Befehlsform): laudo, laudarem, lauda! - ich lobe, ich würde loben, lobe!
^ 1.2.2. Infinite Verbalformen:
Neben den finiten Verbalformen, die hinsichtlich Person, Zahl und Aussageweise bestimmt (finit) sind, gibt es infinite Verbalformen (Verbalnomina):
Infinitiv, Partizip, Gerundium, Gerundiv, Supinum
Von diesen sind das Partizip, Gerundium und Gerundiv deklinierbar.
^ 1.2.2.1. Infinitiv (Nennform) | aktiv | passiv
|
Präsens / gleichzeitig
| dicere - (zu) sagen
| dici - gesagt/genannt werden
|
Perfekt / vorzeitig |
dixisse - gesagt zu haben
| dictum esse - gesagt worden sein
|
Futur / nachzeitig
| dicturum esse - sagen werden
| (dictum iri - gesagt werden werden)
|
^ 1.2.2.2. Partizip (Mittelwort) | aktiv | passiv
|
Präsens / gleichzeitig
| dicens - sagend
| -
|
Perfekt / vorzeitig
| -
| dictus - gesagt
|
Futur / nachzeitig
| dicturus - sagen werdend
| -
|
Das Partizip ist ein Verbaladjektiv
^ 1.2.2.3. Gerundium (vom Verb abgeleitetes Subst., das nur im Genetiv, Akkusativ. und Ablativ existiert). Beispiele: dicendi - des Sagens, ad dicendum - zum Sagen, dicendo - durch das Sagen
^ 1.2.2.4. Gerundiv (vom Verb abgeleitetes Adjektiv, das passive Bedeutung hat und meist einen Zwang zum Ausdruck bringt). Beispiele: dicendum - etwas, was gesagt werden muss; dividendus - einer, der geteilt werden muss
^ 1.2.2.5. Supinum: dictum (venire) - (kommen) um zu sagen, (horribile) dictu - (schrecklich) zu sagen
N.B.: Flektierbare Wörter (Nomina und Verben) werden in Wörterverzeichnissen unter einer 'Nennform' geführt. Bei Nomina ist dies der Nominativ Singular (nomino - nennen), bei Verben die 1. Person Singular, die meistens auf -o endet. (Achtung ! Im Deutschen wird der Infinitiv angegeben !)
^ < 2. Nicht flektierbare Wortarten (Partikeln): >
^ 2.1. Präposition (Vorwort; Übersicht) >
z.B.: sine (mit Ablativ) - ohne (mit Akkusativ).
Präpositionen dienen zur Verdeutlichung bestimmter Kasusanwendungen:
^ < 2.2. Adverb (Umstandswort) >
Adverbien sind isolierte Wörter oder werden nach bestimmten Regeln vom Adjektiv abgeleitet. Adverbien bestimmen ein Verbum, nicht ein Nomen. Sie geben einen Umstand an, unter dem etwas geschieht. (z.B: Wann ? Wo ? Warum ? Wie ?)
^ < 2.3. Konjunktion (Bindewort)
- 2.3.1. beiordnende Konjunktion (verbindet gleichwertige Satzglieder, Satzteile oder ganze Sätze [z.B.: Subjekt mit Subjekt; Hauptsatz mit Hauptsatz], z.B.: et - und, vel - oder, aut - oder)
- 2.3.2. unterordnende Konjunktion (= Subjunktion; leitet Nebensatz ein, z.B.: cum + Konj. - als, nachdem, weil)
^ 2.4. Negation (Verneinung)
non - nicht (bei Aussagen und Fragen)
ne - nicht ! (bei Befehlen, Verboten, etc.; meist mit Konjunktiv)
z.B.: o!
treten u.a. auf als
- 3.1. Kardinalia (Grundzahlwörter), diese sind teils flektierbar (unus - eins, duo - zwei, tres - drei), teils nicht flektierbar (quattuor - vier, quinque - fünf)
- 3.2. Ordinalia (Ordnungszahlwörter), diese sind wie Adjektiva flektierbar (z.B.: primus - der erste, secundus - der zweite)
^ < II Satzglieder und Gliedteile: >
^ 1. Notwendige Satzglieder: >
Wer oder was ? / Quis vel quid ?
- 1.1.1. Substantiv (oder substantivisch gebrauchtes Wort) im Nominativ (amicus [vivit] - der Freund [lebt])
- 1.1.2. Pronomen im Nominativ (ille [vivit] - jener [lebt])
- 1.1.3. Infinitiv (errare humanum est - Irren ist menschlich)
- 1.1.4. Nebensatz ([bis dat] qui cito dat - wer schnell gibt, [gibt doppelt])
- 1.1.5. Im Lateinischen wird das Subjekt oft nur durch die finite Verbalform ausgedrückt (imperavit - er/sie/es herrschte), besonders wenn das Subjekt zweier aufeinanderfolgender Sätze das gleiche ist oder aus dem Zusammenhang leicht erschlossen werden kann.
gibt Auskunft über Person, Numerus, Tempus, z.B.: (amicus) vivit - (der Freund) lebt (3. Person Singular Präsens)
Das finite Verb stimmt in Person und Zahl mit dem Subjekt überein (Kongruenz).
alle von der Wertigkeit des Verbums verlangten Satzglieder.
- ENom (Ergänzung im Nominativ, Gleichsetzungsglied); bei esse, videri, dici, ... .
- EAkk (Ergänzung im Akkusativ)
- EDat (Ergänzung im Dativ)
- EAkk + Dat (Ergänzung im Akkusativ und Dativ)
- E2Akk (Ergänzung mit zwei Akkusativen)
- EPräp (Ergänzung in Form eines Präpositionalausdrucks); z.B.: Aeneas venit in Italiam - Äneas kam nach Italien.
- EAkk + Präp (Ergänzung im Akkusativ und in Form eines Präpositionalausdrucks); z.B.: Troiani posuerunt equum in arce - die Trojanier stellten das Pferd auf die Burg
- EGen (Ergänzung im Genetiv); z.B.: tui obliviscor - ich vergesse dich
- EAbl (Ergänzung im Ablativ); z.B.: bono animo sum - ich bin guten Mutes
- EInf (Ergänzung im Infinitiv); z.B.: Caesar Rhenum transire voluit - Cäsar wollte den Rhein überqueren
- EAkk + Inf (= AcI; Ergänzung im Akkusativ mit Infinitiv)
- Ergänzung in Form eines Nebensatzes; z.B.: Priamus imperavit, ut equus in arce poneretur - Priamus befahl, daß das Pferd auf die Burg gestellt wird
^ < 2. Fakultative Satzglieder - freie Angaben (Adverbiale Angabe, Ad) >
Adverbiale Angaben bieten Zusatzinformationen, die zum Verbalkomplex ('ad verbum' - 'zum Verbum') gehören. Sie können weggelassen werden, ohne dass der verbleibende Rumpfsatz unvollständig würde. Sie lassen sich einteilen nach ihrer Bedeutung oder nach ihrer sprachlichen Form.
- 2.1. AdAdv (in Form eines Adverbs):
Aeneas quondam in Italiam venit. - Äneas kam einst nach Italien.
studiose laborat - er arbeitet fleißig
- 2.2. AdPräp (in Form eines Präpositionalausdrucks):
Aeneas post multos errores in Italiam venit. - Äneas kam nach vielen Irrfahrten nach Italien.
post mortem Catilinae Cicero celebrabatur - nach dem Tod Catilinas wurde Cicero gefeiert
- 2.3. AdAbl (bloßer Ablativ): vgl. IV 6.
Aeneas antiquis temporibus in Italiam venit. - Äneas kam in alten Zeiten nach Italien.
- 2.4. AdAkk (bloßer Akkusativ): vgl. IV 4.4.
Aeneas multos annos in mari erravit. - Äneas irrte viele Jahre auf dem Meer herum.
- 2.5. AdNom (freie Angabe zum Subjekt):
Aeneas adulescens in Italiam venit. - Äneas kam als junger Mann nach Italien.
Caesar puer ingenium exhibuit - Cäsar zeigte als Knabe Talent: vgl. IV 1.1.2.
analog in anderen Fällen zu Ergänzungen: te primum vidi - ich sah dich als ersten
- 2.6. AdAbl+Part ('Ablativus absolutus'):
Aeneas Troia capta in Italiam venit. - Äneas kam nach der Eroberung Trojas nach Italien.
bello nondum confecto Cato rem publicam capessivit.
Zum Gedanken Cato rem publicam capessivit (Cato ging in die Politik) kommt als zusätzliche Information bello nondum confecto (der Krieg war noch nicht beendet) hinzu.
Eine Behelfsübersetzung könnte so lauten:
Cato ging in die Politik, "unter dem Umstand, dass der Krieg noch nicht zu Ende war", besser:
Als der Krieg noch nicht zu Ende war (oder: noch vor dem Ende des Krieges), ging Cato in die Politik.
Wichtig ist die Beachtung des Zeitverhältnisses: Das Perfektpartizip ist vorzeitig, das Präsenspartizip gleichzeitig:
Octavianus Antonio superato domum rediit.
Nachdem Antonius besiegt worden war, (oder: Nach der Niederlage des Antonius) kehrte Oktavian nach Hause zurück.
Morte appropinquante vitam transisse sentimus.
Während (wenn) der Tod sich nähert, merken wir, dass das Leben vergangen ist.
- 2.7. Adverbiale Angabe in Form eines Nebensatzes; z.B.: Graeci, cum Troiam expugnavissent, domos reverterunt - Als die Griechen Troja erobert hatten, kehrten sie nach Hause zurück.
^ < 3. Gliedteile
können als Zusatzinformation zu einem schon vorhandenen Satzglied treten; sie treten i.a. zu einem Substantiv:
Das Attribut ist eine nähere Bestimmung eines Substantivs durch ein Adjektiv oder ein Substantiv. Das Attribut kann vor- oder nachgestellt sein:
- 3.1.1. adjektivisch (AttrAdj): poeta clarus = clarus poeta - ein berühmter Dichter; der b. D. (Kongruenz!); der österreichische Kaiser
- 3.1.2. substantivisch (AttrSubst): Mars deus = deus Mars - der Gott Mars; Danuvius et Rhenus amnes (Attribut im Plural !) - die Flüsse Donau und Rhein; Kaiser Franz Josef
- 3.1.3. Substantiv im Genetiv (AttrGen): Horatii carmina = carmina Horatii - die Gedichte des Horaz; der Kaiser Österreichs
- 3.1.4. Substantiv im Genetiv oder Ablativ + adjektivisches Attribut (Gen. qual. / Abl. qual.): poeta magno ingenio - ein Dichter von großer Begabung, ein hochbegabter Dichter; ein Kaiser von großer Beliebtheit
- 3.1.5. mit Präposition (AttrPräp): controversia de imperio - eine Auseinandersetzung um die Herrschaft; der Kaiser von Österreich
- 3.1.6. Nebensatz: Horatius, qui fuit poeta clarus, ... - Horaz, der ein berühmter Dichter war, ...; der Kaiser, der Österreich regierte, ...
Erweiterung eines substantivischen Attributs (AttrSubst) durch ein weiteres Attribut: Horatius, poeta praeclarus, ... - Horaz, ein hochberühmter Dichter, ...
N.B.: In 3.1.1., 3.1.2. und 3.2 stehen das Attribut und das übergeordnete Substantiv im selben Fall (Kongruenz)!
^ < III Wertigkeit eines Verbums: >
Unter Wertigkeit versteht man die Eigenschaft eines Verbums, bestimmte Ergänzungen notwendigerweise an sich zu binden. Wieviele Fragen müssen vom Verbum ausgehend gestellt werden, damit ein sinnvoller, korrekter Satz entsteht? (m.a.W.: beim Fehlen einer dieser Ergänzungen wird der Satz unvollständig und sinnlos!)
0-wertige Verben:
| pluit - es regnet (Frage nach 'wer' ist sinnlos): Vfin
|
1-wertige Verben:
| (nos) ridemus - wir lachen: Sj - Vfin (nur Frage nach 'wer' ist sinnvoll und notwendig)
|
2-wertige Verben:
| (ego) amo te - ich liebe dich: Sj - Vfin - EAkk
das Buch steht im Regal: Sj - Vfin - EPräp
er möchte schlafen: Sj - Vfin - EInf
|
3-wertige Verben:
| (ego) tibi librum do - ich gebe dir das Buch: Sj - Vfin - EDat - EAkk
er stellte das Glas auf den Tisch: Sj - Vfin - EAkk - EPräp
|
Die Wertigkeit lateinischer Verben deckt sich zum größten Teil mit der der entsprechenden dt. Verben.
^ < IV Kasuslehre:
Nominativ Genetiv Dativ Akkusativ Vokativ Ablativ Lokativ
Der Nominativ wird als casus rectus (gerader Fall) bezeichnet, die übrigen Kasus als casus obliquus (schräger / gebeugter Fall).
Quis ? Quid ? - Wer ? Was ?
Cuius ? - Wessen ?
Der Genetiv hängt meistens von einem Substantiv oder Adjektiv ab.
Cui ? - Wem ?
Quem ? Quid ? - Wen ? Was ?
Fall der Anrede (im Dt. Nominativ)
Sammelkasus, in dem drei ursprünglich verschiedene Fälle zusammengeflossen sind, nämlich
Der Ablativ wird vor allem für adverbiale Angaben (AdAbl) verwendet. Im Deutschen wird er daher meist mit Präpositionen wiedergegeben.
6.1. Separative (= Ablativische) Bedeutungsgruppe
dient zur Angabe von Hilfsmitteln, Begleitumständen etc.
Die rein soziative Funktion des Ablativus (mit wem zusammen?) wird immer durch die Präposition cum (mit) verdeutlicht.
6.3. Lokative Bedeutungsgruppe
Die universelle Funktion des Ablativs zeigt sich im Ablativus absolutus, vgl. II 2.6.
^ < 7. Lokativ
Alter Kasus zur Wo-Bestimmung, der nur in Resten erhalten ist, da er zum größten Teil in den Ablativ (vgl. IV 6.3.) überging. Reste des Lokativs, die formal nicht dem Ablativ entsprechen, sind:
- 7.1. Städtenamen, wenn es sich um Singularwörter der a/o-Dekl. handelt (jeweils formengleich mit dem Gen.): Romae - in Rom, Corinthi - in Korinth
- 7.2. Erstarrte Formen wie domi - zu Hause, ruri - auf dem Land, vesperi - abends
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