^ Vorbemerkungen
Das vorliegende Skriptum ist eine Überarbeitung älterer Unterlagen zu den Lateinergänzungskursen von Dr. Clemens Weidmann (Auswahl der Texte) und Mag. Gottfried Kreuz (Abriss der Literaturgeschichte). Beiden sei an dieser Stelle gebührender Dank dafür ausgesprochen, dass sie ihre Skripten zur Verfügung gestellt haben. Für die nochmalige Durchsicht des vorliegenden Materials schulde ich Frau Therese Thaler Dank.
Die folgenden Seiten sollen eine Auswahl repräsentativer Texte aus der 2000jährigen Tradition der lateinischen Sprache bieten. Die Wahl der Texte beruht nicht zuletzt auch auf ihrer Bedeutung für die Wirkungsgeschichte. Dazu ist ein kurzer Abriss der lateinischen Literaturgeschichte (neben einer kurzen Einführung in die Sprachgeschichte) enthalten.
Einerseits stellt dieses Skriptum den Lektürekanon für die Lehrveranstaltung "Einführung in das Latein" dar, andererseits handelt es sich um die Prüfungsanforderungen ("Fragenkatalog") für den mündlichen Teil der Ergänzungsprüfung bei Mag. Eric Schliegel.
Grundsätzlich sind alle enthaltenen Texte für die mündliche Prüfung relevant, Ausnahmen bilden die in der Lehrveranstaltung ausdrücklich gestrichenen Texte. Der Abriss über die Literaturgeschichte soll insofern beherrscht werden, als er eine grobe zeitliche (keine genauen Jahreszahlen) und inhaltliche Einordnung der Autoren ermöglichen sollte. Gesondert gekennzeichnete Passagen sind (nur) für spezielle Studienrichtungen relevant. Nebenher sind Grundkenntnisse aus der Geschichte, soweit sie zum Verständnis der Texte notwendig sind und Grobkenntnis des überblicks über die Sprachgeschichte bei der Prüfung vorausgesetzt. Hauptbeurteilungskriterium ist aber in jedem Fall die Übersetzung der Texte und die solide Kenntnis der Grundgrammatik bzw. des Grundvokabulars.
^ ZUR SPRACHGESCHICHTE
Das Lateinische gehört wie die meisten Sprachen Europas (heutige Ausnahmen sind Baskisch, Estnisch, Finnisch, Türkisch und Ungarisch) zu den indogermanischen (indoeuropäischen) Sprachen, einer Gruppe von dzt. ca. 250 Sprachen mit zusammen etwa 2 Mrd. Sprechern. Die beiden großen Zweige des Indogermanischen benennt man nach dem auch bei ausgestorbenen Sprachen in der Regel überlieferten Wort für "hundert" als centum- (sprich: kentum) und satem-Sprachen. Zu den satem-Sprachen zählen Indisch, Iranisch (Persisch), Armenisch, Albanisch, Baltisch und Slawisch, zur centum-Gruppe Anatolisch (~ 1. Jtsd. v. Chr.), Tocharisch (~ 8. Jhdt. n. Chr., im heutigen Turkestan), Griechisch, Keltisch, Germanisch und Italisch (Romanisch). Davon trennen sich die drei letztgenannten erst spät von einander (Anfang 2. Jtsd. v. Chr.).
In Italien existieren im 1. Jtsd. v. Chr. verschiedene italische Sprachen (z. B. Venetisch, Samnitisch, Umbrisch, etc.) nebeneinander, dazu Keltisch (Poebene, Alpenraum), Griechisch (Küsten Süditaliens u. Siziliens) und das nicht indogermanische Etruskisch (Toskana). Die eigentlich eher unbedeutende Sprache der kleinen Landschaft Latium (daher lingua Latina > Latein), die auch in Rom gesprochen wird, wird durch die politische Expansion Roms in der zweiten Hälfte des 1. Jtsds. v. Chr. zur führenden Sprache im wachsenden Imperium Romanum. Insbesondere als nach dem Bundesgenossenkrieg (91 - 89 v. Chr.) alle italischen Völker das römische Bürgerrecht erhalten, beginnt ein rasches Absterben der anderen italischen Sprachen. Etwa gleichzeitig wird die Literatursprache Latein auf ihre volle Höhe gebracht. Durch Regelung der Grammatik, Säuberung des Vokabulars und Entwicklungen einer der griechischen Literatur ebenbürtigen Metrik entwickelt sich aus dem so genannten Altlatein das klassische (auch goldene) Latein (> Caesar, Cicero), das unbeschadet mancher Modeströmung (z. B. Vorliebe für altmodische Formen im 2. Jhdt. n. Chr., sog. Archaismus) bis in die Spätantike Literatur- und Schulsprache bleibt. Das Latein z. B. Augustinus' unterscheidet sich trotz des großen zeitlichen Abstandes nur wenig von dem Ciceros.
Unter dieser Oberfläche entwickelt sich die gesprochene Volkssprache weiter zu einer Art Proto-Romanisch, das für uns nur selten sichtbar wird. Dieses Spätlatein / Protoromanisch ist jedenfalls in der Spätantike Verkehrs- und meist auch Umgangssprache in der gesamten Westhälfte des römischen Reiches. Durch den Zerfall des Westens in verschiedene meist germanisch beherrschte Gebiete (Spanien: Westgoten; Gallien: Franken; Italien: erst Ostgoten, dann Langobarden; Nordafrika: Vandalen) im 5. und 6. Jhdt. beginnt die Auseinanderentwicklung in die einzelnen romanischen Sprachen, die aber lange Zeit nicht als solche gesehen wird und bei den einzelnen Autoren dieser Zeit je nach Schulbildung gebremst erscheint (in der Schule wird ja weiterhin - wenn auch immer reduzierter - das Latein der Antike gelehrt). Erst in karolingischer Zeit (um 800), als man die Literatursprache wieder auf das Niveau der Spätantike heben will, erkennt man die inzwischen große Diskrepanz zwischen Volks- und Schriftsprache und koppelt beides von einander ab. Die nunmehr "freigegebenen" Volkssprachen entwickeln sich zu den heutigen romanischen Sprachen und werden im lauf des Mittelalters allmählich selbst verschriftlicht. Latein bleibt Literatursprache und Verkehrssprache der Gebildeten (Kirche), es entwickelt sich das so genannte Mittellatein, also das Latein des Mittelalters. Einige seiner Merkmale sind:
- etwas andere Grammatik (z. B. quod-Satz statt AcI; mehr Präpositionen als reine Fälle)
- erweitertes bzw. verändertes Vokabular (german. Lehnwörter: helmus, osae, burgus, suppa, ...; alte Wörter mit neuen Bedeutungen: comes, dux, ...; speziell christliche Wörter: trinitas, baptizare, ecclesia,...).
- andere Schreibungen: ê = e = ae; foelix, hydemptitas = identitas, usw.
- in der Dichtung wird zumeist akzentuierend gedichtet, nicht (wie in der Antike) quantitierend. Im Prinzip neu ist auch der Reim.
Einen weiteren Entwicklungsschub erfährt das Mittellatein, als die Scholastik die Philosophie v. a. des Aristoteles für sich entdeckt und sie ins Lateinische zu bringen versucht. Bis ins Spätmittelalter ist Latein also eine lebende Sprache, die von den gebildeten Schichten Westeuropas gesprochen wird.
Eine neuerliche Hinwendung zur Antike, viel massiver als in der "karolingischen Renaissance" ist jene, welche den Humanismus die Diskrepanz zwischen klassischem und zeitgenössischem Latein erkennen lässt (14./15. Jhdt.). Als sprachliche Vorbilder werden nur noch die besten klassischen Autoren, v. a. Cicero und Caesar ("goldene Latinität") anerkannt. Das daraus entstehende Humanistenlatein bzw. Neulatein ist vom Prinzip her also das alte klassische Latein (nur neu hinzugekommene Vokabel werden z. T. beibehalten) und als Literatursprache ca. bis ins 17./18. Jhdt, als Gelehrtensprache bis ins 19./20. Jhdt. gebräuchlich. Die lebendige Sprachentwicklung des Lateinischen ist damit aber beendet. Nach wie vor ist das Lateinische Publikationssprache im Vatikan, dazu werden immer noch neue Begriffe für die Erscheinungen unserer Zeit (Kino - cinematographeum, -i n.) geprägt. Solche Wortschöpfungen finden sich auch in (tw. humoristisch aufgemachten) "aktuellen" Wörterbüchern.
^ ÜBERBLICK ÜBER DIE LATEINISCHE LITERATUR UND LEKTÜREKANON
^ I. VORBEMEKUNGEN
Um sich der lateinischen Literatur angemessen zu nähern, sollte man sich einige grundlegende Charakteristika vergegenwärtigen:
1. Bis zur Erfindung des Buchdruckes (Gutenberg um 1450) werden Texte handschriftlich tradiert, zunächst auf Papyrusrollen (volumen, -inis n.), seit der Spätantike auf Pergament und in der noch heute gebräuchlichen Buchform (codex, - icis m.). Erhalten sind solche Codices in größerer Zahl, aber erst seit etwa karolingischer Zeit (8./9. Jhdt.), sodass zwischen der Entstehung eines Werks in der Antike und seiner ältesten noch erhaltenen Abschrift ohne weiteres ein Jahrtausend oder mehr liegen kann. Aus dieser Art der Überlieferung resultieren zwei Probleme: Einerseits verschlechtert sich die Qualität der Texte durch oftmaliges Abschreiben ("Stille-Post-Effekt": Schreibfehler, Auslassungen, aber auch willkürliche "Verbesserungen" oder Ergänzungen durch übereifrige Schreiber usw.); mit wissenschaftlichen Methoden versucht man heute, sich dem "Urtext" möglichst gut anzunähern (Textkritik), kommt dabei aber keineswegs immer zu sicheren Ergebnissen; diese Unschärfe ist beim Umgang mit antiken und mittelalterlichen Texten (auch wenn man mit Übersetzungen arbeitet!) stets zu berücksichtigen. Andererseits bewirkt die handschriftliche Überlieferung allgemein große Textverluste, wobei tendenziell qualitätvolle Werke eher abgeschrieben werden als schlechte ("Spitze des Eisbergs"), kurze eher als lange, moderne bzw. für wichtig empfundene eher als aus der Mode geratene oder für unwichtig gehaltene; doch spielt dabei auch der Zufall eine bedeutende Rolle. Etwas kompensiert werden diese Verluste durch (exzerptartige) Sammelwerke bzw. allgemein durch die Zitierfreudigkeit der lat. Autoren, sodass von vielen an sich verlorenen Texten wenigstens noch Fragmente greifbar sind.
2. Die lateinische Literatur der Antike ist in einem für moderne Begriffe außergewöhnlich hohen Grad gattungsgebunden, die einzelnen Gattungen wiederum strengen formalen Regeln unterworfen. So schreibt man etwa ein Epos stets im Hexameter, nie in einem anderen Versmaß. Umgekehrt empfindet ein antiker Leser z. B. ein in elegischen Distichen (Hexameter + Pentameter) verfasstes Gedicht als der Gattung "Elegie" zugehörig, auch wenn der Inhalt vielleicht nicht in diese Richtung weist. Diese Gattungsgebundenheit bleibt im Prinzip auch im Mittelalter erhalten, doch treten seit der Spätantike neue genera hinzu (z. B. Tropus, Sequenz), während manche alte zeitweise verschwinden (z. B. die Tragödie).
3. Jene Gattungsbindungen und formalen Regelungen ebenso wie die damit korrespondierenden Publikumserwartungen an die Literatur sind keine römische Erfindung, sondern von den Griechen übernommen. Die römische Literatur ist also zunächst eine abgeleitete und setzt überhaupt erst relativ spät ein. Bis in das 3. Jhdt. v. Chr. entstehen in Rom keine literarischen Werke und auch keine Geisteskultur, die ein literarisches bzw. künstlerisches Schaffen begünstigen würde. Das ändert sich, als Rom durch seine politische Expansion in unmittelbaren Kontakt mit der Kultur des Hellenismus tritt. Um 250 v. Chr. ist Griechisch, z. T. in Folge der Eroberungen Alexanders des Großen (+ 323v. Chr.) Verkehrssprache im gesamten östlichen Mittelmeerraum bzw. vorderen Orient, aber auch in Süditalien und Sizilien ("Magna Graecia"). Mit den Epen HOMERS (Ilias und Odyssee, 8./7. Jhdt v. Chr.), der Lyrik des ALKAIOS und der SAPPHO (um 600 v. Chr.), der Chorlyrik PINDARS (erste Hälfte d. 5. Jhdts.), den Tragödien des AISCHYLOS, SOPHOKLES und EURIPIDES (5. Jhdt. v. Chr.), den Geschitswerken des HERODOT und des THUKYDIDES, den Komödien des ARISTOPHANES (um 400 v. Chr.) und des MENANDER (um 300 v. Chr.), sowie den philosophischen Schriften PLATONS (... 347 v. Chr., Schüler des Sokrates) und ARISTOTELES (+ 322 v. Chr., Schüler Platons, Erzieher Alexanders des Großen) hatte die griechische Literatur zu diesem Zeitpunkt bereits auf allen Gebieten ihre als klassisch empfundenen Höchstleistungen vollbracht und befand sich in einer (heute als Hellenismus) bezeichneten Spätphase, in der die Stadt Alexandria (am Nildelta) als Mittelpunkt vor allem der Gelehrsamkeit (Man denke an die berühmte Bibliothek!) das alte Zentrum Athen abgelöst hatte.
^ II. DIE FRÜHE ZEIT BIS ZUR VORKLASSIK
In Rom beginnt man ab etwa 250 v. Chr. griechische Werke (vor allem Epos, Tragödie und Komödie) ins Lateinische zu übersetzen, bzw. in Anlehnung an griechische Vorbilder Eigenes zu schaffen (Geschichtsschreibung). Von fast allen diesen Produktion sind nur Fragmente erhalten.
- Geschichte
-
Erwähnt sei Qu. Ennius (239 - 169), ein Allroundgenie, dessen Epos Annales
(von annus, - i m. - Jahr: Darstellung der Geschichte in streng chronologischer Reihenfolge, also Jahr für Jahr) über die römische Geschichte zum populären "Nationalepos" wurde, bis Vergils Aeneis es überbot und verdrängte.
Erhalten sind 20 Komödien des PLAUTUS (T. Maccius Plautus, ca. 250 - 184 v. Chr.), unterhaltsame Bearbeitungen griechischer Vorbilder (z. B. von Menander). Seine Charaktere sind stark typenhaft, die Sprache üppig und bisweilen nestroyhaft, die Mittel der Komik reichen von Sprachwitzen über Situationskomik und gelegentlich deftige Scherze bis zu Bühnenwitzen. Im Mittelalter wenig gelesen, wurde er erst in der Neuzeit wieder entdeckt. Bekannte Werke sind Amphitruo (Kleist: Amphitryon), Aulularia (Molière: L'avare), Miles gloriosus (Die Titelfigur, der Typ eines etwas beschränkten, prahlerischen Militärs ging ins Standardrepertoire der Komödie ein).
Ebenfalls nach griechischen Vorbildern gearbeitet, aber im Vergleich zu Plautus zurückhaltender im Tonfall, differenzierter in den Chrakterzeichnungen, dafür auch weniger komisch und manchmal etwas kompliziert aufgebaut sind die sechs Komödien des TERENZ (P. Terentius Afer, ca. 190 - 159 v. Chr.). Alle seine Stücke sind erhalten: Wegen ihres gepflegten Lateins gehörten die Stücke bis ins 18. Jhdt. immer zur Schullektüre (> Hrotsvith).
Text 1: Aus der Aulularia des Plautus (nach Plautus, Aul. 713 - 764)
EUCLIO ist ein geiziger Alter, der soeben den Diebstahl seines Goldtopfes (
aula, -ae f.) bemerkt hat und alle (sogar die Zuschauer) verdächtigt. LY
CONIDES ist ein junger Mann, der gerade erst durch EUCLIOS Tochter Vater wurde und diesem erst gestehen muss, dass seine Tochter ein Kind geboren hat. Der auf EUCLIOS Monolog folgende Dialog ist ein Beispiel, wie zwei Figuren aneinander vorbei reden, da jeder nur sein Problem sieht.
EUCLIO: Perii, interii, occidi. Quo curram? Quo non curram? Tene, tene! Quem? Quis? Nescio, nihil video, caecus eo atque equidem, quo eam aut ubi sim aut qui sim, nescio. Obsecro ego vos, mihi auxilio, oro, obtestor, sitis et hominem demonstretis, quis eam abstulerit. Quid ais tu? Tibi credere certum est, nam te esse bonum ex vultu cognosco. Quid est? Quid ridetis? Novi omnes, scio fures esse hic complures ...
LYCONIDES: Quinam homo hic ante aedes nostras eiulans conqueritur maerens? Atque hic quidem Euclio est, ut opinor. Ego interii: palam est res; scit peperisse iam, ut ego opinor, filiam suam. Nunc mihi incertum est, abeam an maneam an adeam an fugiam? Quid agam? Edepol nescio.
EUC.: Quis homo hic loquitur? LY.: Ego sum, miser. EUC.: Immo, ego sum, et misere perditus, cui tanta mala obtigerunt. LY.: Animo bono es! EUC.: Quo, obsecror, pacto esse possum? LY.: Quia istud facinus, quod tuum sollicitat animum, id ego feci et fateor. EUC.: Quid ego ex te audio? LY.: Id, quod verum est. EUC.: Quid ego te demerui, adulescens, mali, quam ob rem ita faceres meque meosque perderes liberos? LY.: Deus mihi impulsor fuit, is me ad illam illexit. EUC.: Quomodo? LY.: Fateor peccavisse me et me culpam commeritum scio; advenio, ut animo aequo ignoscas mihi. EUC.: Cur id ausus es facere, ut id, quod non tuum esset, tangeres? LY.: Quid vis fieri? Factum est illud: fieri infectum non potest. Deos credo voluisse; nam nisi vellent, non fieret, scio. EUC.: At ego deos credo voluisse, ut apud me te in vinculis enecem. LY.: Ne istud dixeris! EUC.: Quid ergo meam me invito tetigisti? LY.: Quia vini vitio atque amoris feci. EUC.: Homo audacissime, nimis vile est vinum atque amor, si ebrio atque amanti impune facere, quod libeat, licet. Tu illam sciebas non tuam esse: non attingi oportuit. LY.: Ergo, quia sum tangere ausus, haud causificor, quin eam ego habeam potissimum. EUC.: Tune habeas me invito meam? LY.: Haud te invito postulo; sed meam esse oportere arbitror. Quin tu iam invenies, inquam, meam illam esse oportere, Euclio. EUC.: Nisi refers - LY.: Quid tibi ego referam? EUC.: Quod surripuisti meum. LY.: Surripio ego tuum? Unde? Aut quid id est? EUC.: Aulam auri, inquam, te reposco, quam tu confessus es mihi te abstulisse. LY.: Neque edepol ego dixi neque feci.
- Geschichte
- Nach Plautus und Terenz klafft eine Lücke von etwa hundert Jahren, aus denen kein Werk vollständig erhalten ist. Eine Ausnahme bildet M. Porcius CATO der Ältere (234 - 149), bekannt als erzkonservativer Politiker und fast pathologischer Feind des eigentlich schon besiegten Karthago: Von ihm ist die kleine Schrift De agri cultura, eine Art Lehrbuch der Landwirtschaft, das als kultur- und wirtschaftshistorisches Dokument von hohem Interesse ist, erhalten.
Im 1. Jhdt. v. Chr. setzt die große Masse der erhaltenen Literatur ein. Die Haltung der Autoren hat sich vom Nachdichten, Bearbeiten oder gar Übersetzen griechischer Vorbilder merklich gewandelt: Selbstbewusst erhebt Rom den Anspruch, den Griechen Ebenbürtiges selbst zu schaffen, wie ja auch politisch im Prinzip sämtliche griechischsprachige Gebiete (als letzes Ägypten 31 v. Chr.) unter römische Herrschaft gelangt sind.
Noch in die Vorklassik fällt der Dichter CATULL (C. Valerius Catullus, 87/84 - 54(?)), in dessen Lyrik heftige, scheinbar ungehemmte Gefühle und höchste, ohne Kommentar bisweilen unverständliche artifizielle Gelehrsamkeit eine merkwürdige Symbiose eingehen. Die Palette ist bunt: Liebeslyrik, obszönste Schimpfgedichte, aber auch ein berühmt gewordenes Epyllion (d. h. ein gelehrtes und bis ins letzte Detail ausgefeiltes Mini-Epos) auf die Hochzeit von Peleus und Thetis (die mythischen Eltern des Achill); der hierin angewandte Kunstgriff der in die Haupthandlung eingebetteten Beschreibung (Ekphrasis) eines Bildes, auf dem eine andere Geschichte dargestellt ist (hier die der Ariadne), wird, obwohl ähnliches etwa auch bei Vergil erscheint, gerade nach der Wiederentdeckung des im Mittelalter vergessenen Catull in der frühen Neuzeit zu einem "Lieblingstrick" vieler Autoren.
Text 2: Liebesschwüre (Catull carmen 5)
Vivamus, mea Lesbia, atque amemus
rumoresque senum severiorum
omnes unius aestimemus assis!
Soles occidere et redire possunt:
Nobis, cum semel occidit brevis lux,
nox est perpetua una dormienda.
Da mi basia mille, deinde centum,
dein mille altera, dein secunda centum,
deinde usque altera mille, deinde centum,
dein, cum milia multa fecerimus,
conturbabimus illa, ne sciamus
aut ne quis malus invidere possit,
cum tantum sciat esse basiorum.
Text 3: "Es ist aus!" (Catull carmen 8)
Miser Catulle, desinas ineptire
et quod vides perisse, perditum ducas!
Fulsere quondam candidi tibi soles,
cum ventitabas, quo puella ducebat
amata nobis, quantum amabitur nulla.
Ibi illa multa cum iocosa fiebant,
quae tu volebas nec puella nolebat,
fulsere vere candidi tibi soles.
Nunc iam illa non vult: tu quoque, impotens, noli
nec, quae fugit, sectare nec miser vive,
sed obstinata mente perfer, obdura!
Vale, puella, iam Catullus obdurat
nec te requiret nec rogabit invitam:
At tu dolebis, cum rogaberis nulla.
Scelesta, vae te! Quae tibi manet vita!
Quis nunc te adibit? Cui videberis bella?
Quem nunc amabis? Cuius esse diceris?
Quem basiabis? Cui labella mordebis?
At tu, Catulle, destinatus obdura!
Text 4: Odi et amo (Catull carmen 85)
Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris.
Nescio, sed fieri, sentio et excrucior.
Zeitgenosse Catulls ist LUKREZ (T. Lucretius Carus, 96 [?] - 55), dessen philosophisches Lehrgedicht De rerum natura (6 Bücher, in Hexametern) eine umfassende Darstellung der Philosophie des Griechen Epikur bietet: Ablehnung jeglicher Religion, die Vernunft (ratio) befähigt den Menschen, die Natur zu begreifen. Die Welt, die nach Naturgesetzen funktioniert, besteht aus Atomen und Vakuum, das Gesetz des freien Falls wird erkannt. Vom Christentum wütend abgelehnt und daher im Mittelalter vergessen bildete das Werk den vielleicht wichtigsten Ausgangspunkt für die Revolution der Naturwissenschaft zu Beginn der Neuzeit.
Text 5: Das Gesetz des freien Falles (Lucr. 2, 230sqq.)
Nam per aquas quaecumque cadunt atque aera rarum,
haec pro ponderibus casus celerare necesse est,
propterea quia corpus aquae naturaque tenuis
aeris haud possunt aeque rem quamque morari,
sed citius cedunt gravioribus exsuperata.
At contra nulli de nulla parte neque ullo
tempore inane potest vacuum subsistere rei,
quin, sua quod natura petit, concedere pergat;
omnia quapropter debent per inane quietum
aeque ponderibus non aequis concita ferri.
- Theologie
- M. Terentius VARRO (116 - 27) gilt als Universalgelehrter. Von seinen
unzähligen Schriften ist fast nichts erhalten, doch bildeten v. a. seine Werke zur römischen Religion die wichtigste Quelle für die (natürlich oft verzerrte) Darstellung derselben in der christlichen Apologetik (= christliche Verteidigungsschriften gegen das Heidentum, oft sehr polemisch).
^ III. KLASSIK UND LITERATUR DER FRÜHEN KAISERZEIT
Mit M. Tullius CICERO (* 106, ermordet 43) erreicht die römische Klassik in der Prosa unangefochten ihren Höhepunkt. Als Staranwalt höchst erfolgreich, als konservativer Politiker gegenüber dem bis zur Unerträglichkeit gewachsenen Reformstau der abgewirtschafteten Repbulik ebenso wie gegenüber dem Durchsetzungsvermögen stärkerer Charaktere (z. B. Caesar) letztlich gescheitert, hinterließ er ein sehr umfangreiches Oeuvre, das sich grob einteilen lässt in:
- Reden (ca. 50 Stück erhalten, Gerichts- und Staatsreden): Sie gelten in der
Antike als Definiens für klassisches Latein; berühmt sind vor allem die Reden gegen den korrupten Provinzstatthalter Verres und die gegen den Putschisten Catilina.
- Theoretische Schriften zur Kunst der Rhetorik.
- Philosophische Werke: In ihnen versucht Cicero verschiedene Bereiche der griechischen Philosophie, v. a. Platon und die Stoa, dem römischen Publikum zu vermitteln. Hauptthemen sind (typisch für römische Interessen) Ethik und Staatstheorie, z. B. de officiis, de re publica.
- ca. 900 Briefe.
Text 6: Sizilien braucht Hilfe (Cicero, Divinatio in Q. Caecilium 19)
Seit dem Jahr 194 v. Chr. gab es für das Delikt des Missbrauchs der Amtsgewalt (durch Ausbeutung der Provinzen) die quaestio perpetua de repetundis. Genau von diesem Delikt ist Sizilien nun betroffen.
Sicilia tota si una voce loqueretur, hoc diceret: "Quod auri, quod argenti, quod ornamentorum in meis urbibus, sedibus, delubris fuit, quod in unaquaque re beneficio senatus populique Romani iuris habui, id mihi tu, C. Verres, eripuisti atque abstulisti; quo nomine abs te
sesterium miliens ex lege repeto." Si universa, ut dixi, provincia loqui posset, hac voce uteretur. Quoniam id non poterat, harum rerum actorem, quem idoneum esse arbitrata est, ipsa delegit.
Text 7: "Davon will ich gar nicht sprechen ..." (Cicero, In Verrem 2, 1, 32f.)
Nunc mihi temporis eius, quod mihi ad dicendum datur, quoniam in animo est causam omnem exponere, habenda ratio est diligenter.
Itaque primum illum actum istius vitae turpissimum et flagitiossimum praetermittam. Nihil a me de pueritiae suae flagitiis audiet, nihil ex illa impura adulescentia sua; quae qualis fuerit, aut meministis, aut ex eo, quem sui simillimum produxit, recognoscere potestis. Omnia praeteribo, quae mihi
turpia dictu videbuntur, neque solum, quid istum audire, verum etiam, quid me deceat dicere, considerabo.
Vos, quaeso, date hoc et concedite pudori meo, ut aliquam partem de istius impudentia reticere possim. Omne illud tempus, quod fuit, antequam iste ad magistratus remque publicam accessit, habeat per me solutum ac liberum. Sileatur de nocturnis eius bacchationibus ac vigiliis; lenonum, aleatorum, perductorum nulla mentio fiat; damna, dedecora, quae res patris eius, aetas ipsius pertulit, praetereantur; lucretur indicia veteris infamiae; patiatur eius vita reliqua me hanc tantam iacturam criminum facere.
Text 8: Aus der ersten Rede gegen Catilina (Cicero in Catilinam 1, 1f.)
Quo usque tandem
abutere, Catilina, patientia nostra? Quamdiu etiam furor iste tuus nos eludet? Quem ad finem sese effrenata iactabit audacia?
Nihilne te nocturnum praesidium Palatii,
nihil urbis vigiliae,
nihil timor populi,
nihil concursus bonorum omnium,
nihil hic munitissimus habendi senatus locus,
nihil horum ora vultusque moverunt? Patere tua consilia non sentis? Constrictam iam horum omnium scientia teneri coniurationem tuam non vides? Quid proxima, quid superiore nocte egeris, ubi fueris, quos convocaveris, quid consilii ceperis, quem nostrum ignorare arbitraris?
O tempora, o mores! Senatus haec intellegit, consul videt. Hic tamen vivit. Vivit? Immo vero etiam in senatum venit, fit publici consilii particeps, notat et designat oculis ad caedem unumquemque nostrum. Nos autem, fortes viri, satis facere rei publicae videmur, si istius furorem ac tela vitamus. Ad mortem te, Catilina, duci iussu consulis iam pridem oportebat, in te conferri pestem, quam tu in nos omnes iam diu machinaris.
Text 9: Exil? (Cicero, in Catilinam 1, 10b und 13a)
Quae cum ita sint, Catilina, perge, quod coepisti! Egredere aliquando ex urbe! Patent portae. Proficiscere! Nimium diu te imperatorem tua illa Manliana castra desiderant. Educ tecum etiam omnes tuos! Si minus, quam plurimos! Purga urbem! Magno me metu liberaveris, modo inter me atque te murus intersit. Nobiscum versari iam diutius non potes. Non feram, non patiar, non sinam.
Quid est, Catilina? Num dubitas id me imperante facere, quod iam tua sponte faciebas? Exire ex urbe iubet consul hostem. Interrogas me: num in exsilium? Non iubeo, sed, si me consulis, suadeo.
Text 10: Was Gott ist (Cic., Nat. deor. 1, 60)
Cum Hiero tyrannus ex Simonide quaesivisset, quid aut quale esset deus, is sibi unum diem deliberandi postulavit; cum idem ex eo postridie quaereret, biduum petivit; cum saepius duplicaret numerum dierum admiransque Hiero requireret, cur ita faceret, "Quia, quanto diutius considero," inquit "tanto mihi res videtur obscurior."
Text 11: Ein Kosmopolit (Cic., Tusc. Disp. 5, 108)
Patria est, ubicumque est bene. Socrates, cum rogaretur, cuiatem se esse diceret, "Mundanum", inquit; totius enim mundi se incolam et civem arbitratur.
Text 12: Sokrates' Verurteilung (Cic., de or. 1, 231)
Socrates, cum omnium sapientissimus esset sanctissimeque vixisset, ita in iudicio pro se ipse dixit, ut non supplex aut reus, sed magister aut dominus videretur esse iudicum. Mos autem erat Athenis, ut reus interrogaretur, quam meruisse se maxime confiteretur poenam. Quod cum interrogatus Socrates esset, respondit se meruisse, ut amplissimis honoribus et praemiis decoraretur et ut ei victus cottidianus publice praeberetur, qui honor apud Graecos maximus habetur.
Text 13: Demokrit (Cic., fin. 1, 17)
... Ille (= Democritus) atomos, quas appellat, id est corpora individua propter soliditatem, censet in infinito inani, in quo nihil nec summum nec infimum nec medium nec intimum nec extremum sit, ita ferri, ut concursionibus inter se cohaerescant, ex quo efficiantur ea, quae sint quaeque cernantur, omnia; eumque motum atomorum nullo a principio, sed ex aeterno tempore intellegi oportere.
Text 14: Sokrates' Leistung für die Philosophie (Cic., Tusc. dis. 5, 10 - 11)
... Sed ab antiqua philosophia usque ad Socratem, qui Archelaum, Anaxagorae discipulum, audierat, numeri motusque tractabantur, et unde omnia orerentur quove reciderent, studioseque ab iis siderum magnitudines, intervalla, cursus anquirebantur et cuncta caelestia.
Socrates autem primus philosophiam devocavit e caelo et in urbibus conlocavit et in domus etiam introduxit et coegit de vita et moribus rebusque bonis et malis quaerere. Cuius multiplex ratio disputandi rerumque varietas et ingenii magnitudo Platonis memoria et litteris consecrata plura genera effecit dissentientium philosophorum ...
Text 15: Die ratio lässt den Menschen Gemeinschaft suchen (Cic. off. 1, 11f.)
... Sed inter homines et beluam hoc maxime interest, quod haec tantum, quantum sensu movetur, ad id solum, quod adest quodque praesens est, se accomodat paulum admodum sentiens praeteritum aut futurum. Homo autem, quod rationis est particeps, per quam consequentia cernit, causas rerum videt earumque praegressus et quasi antecessiones non ignorat, similitudines comparat rebusque praesentibus adiungit atque adnectit futuras, facile totius vitae cursum videt ad eamque degendam praeparat res necessarias.
Eademque natura vi rationis hominem conciliat homini et ad orationis et ad vitae societatem ingeneratque imprimis praecipuum quendam amorem in eos, qui procreati sunt, impellitque, ut hominum coetus et celebrationes et esse et a se obiri velit ob easque causas studeat parare ea, quae suppeditent ad cultum et ad victum, nec sibi soli, sed coniugi, liberis, ceterisque, quos caros habeat tuerique debeat; quae cura exsuscitat etiam animos et maiores ad rem gerendam facit.
Von Cicero gleichermaßen bewundert wie gefürchtet war C. Iulius CAESAR (* 100, ermordet 44). Als Vollblutpolitiker und genialer Stratege schon an sich einer der großen der Geschichte, erwies sich seine testamentarische Adoption des späteren ersten Princeps (Kaisers) Augustus als entscheidende Weichenstellung. Über seine beiden größten Kriege, die mit äußerster Härte und überdies auf eigene Faust durchgeführte Eroberung Galliens (58 - 50) sowie den Bürgerkrieg gegen Pompeius (49 - 48), existieren Berichte von seiner eigenen Hand. Beide sind Meisterwerke raffinierter Propaganda, und insbesondere die Commentarii de bello Gallico gelten neben den Reden Ciceros als Höhepunkt der klassischen Prosa.
Text 16: Gallien (Caesar, bell. Gall. 1, 1)
Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam, qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur. Hi omnes lingua, institutis, legibus inter se differunt. Gallos ab Aquitanis Garunna flumen, a Belgis Matrona et Sequana dividit. Horum omnium fortissimi sunt Belgae, propterea quod a cultu atque humanitate provinciae longissime absunt minimeque ad eos mercatores saepe commeant atque ea, quae ad effeminandos animos pertinent, important proximique sunt Germanis, qui trans Rhenum incolunt, quibuscum continenter bellum gerunt. Qua de causa Helvetii quoque reliquos Gallos virtute praecedunt, quod fere cotidianis proeliis cum Germanis contendunt, cum aut suis finibus eos prohibent aut ipsi in eorum finibus bellum gerunt.
Text 17: Die letzten Schritte zum Krieg (Caesar, bell. Gall. 1, 7)
Caesar reagiert auf die "Auswanderungspläne" der Helvetier:
Caesari cum id nuntiatum esset eos (= Helveticos) per provinciam nostram iter facere conari, maturat ab urbe proficisci et quam maximis potest itineribus in Galliam ulteriorem contendit et ad Genavam pervenit. Proviniciae toti quam maximum potest militum numerum imperat - erat omnino in Gallia ulteriore legio una; pontem, qui erat ad Genavam, iubet rescindi.
Text 18: Caesars Ermordung (Eutrop 6, 25 + Sueton, Caes. 80 - 82)
Caesar bellis civilibus toto orbe compositis Romam rediit. Cum ergo et honores ex sua voluntate praestaret, qui a populo antea deferebantur, nec senatui ad se venienti assurgeret aliaque regia ac paene tyrannica faceret, coniuratum est in eum a sexaginta vel amplius senatoribus equtitibusque Romanis. Praecipui fuerunt inter coniuratos Brutus et Cassius et Servilius Casca. Qui primum cunctati sunt, utrum eum de ponte deicerent an in Sacra Via vel in aditu theatri adorirentur. Postquam senatus Idibus Martiis in curiam edictus est, ibi eum interficere constituerunt.
Sed Caesari futura caedes evidentibus prodigiis denuntiata est. ... Nam immolantem haruspex Spurinna monuit, ut caveret periculum, quod non ultra Martias Idus proferretur.
... Ea vero nocte, cui illuxit dies caedis, ipse sibi visus est per quietem interdum supra nubes volitare et cum Iove dextram iungere. Et Calpurnia uxor imaginata est collabi fastigium domus maritumque in gremio suo occidi.
Quinta fere hora progressus introiit curiam Spurinnamque irridens et ut falsum arguens, quod sine ulla sua noxa Idus Martiae adessent; is vero venisse quidem eas dixit, sed non praeterisse.
Assidentem cospirati specie officii circumsteterunt; ilicoque Tillius Cimber primus quasi aliquid rogaturus propius accessit renuentique et gestu in aliud tempus differenti ab utroque umero togam apprehendit. Deinde clamantem: "Ista quidem vis est!" alter aversum vulnerat paulum infra iugulum. Caesar, ut animadvertit undique se strictis pugionibus peti, toga caput obvolvit, simul sinistra manu sinum ad ima crura deduxit, quo honestius caderet. Atque ita tribus et viginti plagis confossus est uno modo ad primum ictum gemitu sine voce edito, etsi quidam tradiderunt eum Marco Bruto irruenti dixisse: "Et tu, mi fili?" Corpus diffugientibus omnibus aliquamdiu iacuit, donec lecticae impositum tres servi domum rettulerunt. Nec in tot vulneribus, ut Antistius medicus existimabat, letale ullum repertum est, nisi quod secundo loco in pectore acceperat.
Parteigänger Caesars war SALLUST (C. Sallustius Crispus, 86 - 35), der sich nach dessen Tod von der Politik zurückzog und der Geschichtsschreibung widmete. Seine beiden kleineren Schriften, De coniuratione Catilinae (über den Putschversuch Catilinas, den > Cicero 63/62 blutig niederschlug) und De bello Iugurthino (über den Krieg Roms gegen den Numiderkönig Iugurtha 111 - 105), sind die ersten historischen Monographien: Nicht breite Geschichtsdarstellung wird erstrebt, sondern je ein einzelnes historisches Ereignis genau analysiert und als Symptom für den moralischen Verfall Roms gewertet. Von einem dritten größeren Werk (Historiae) existieren nur Fragmente.
Text 19: Über Catilina (Sallust, bellum Catilinae 5, 1- 8)
L. Catilina, nobili genere natus, fuit magna vi et animi et corporis, sed ingenio malo pravoque. Huic ab adulescentia bella intestina, caedes, rapinae, discordia civilis grata
fuere, ibique iuventutem suam exercuit. Corpus patiens inediae, algoris, vigiliae, supra quam
quoiquam credibile est. Animus audax, subdolus, varius,
quoius rei
lubet simulator ac dissimulator, alieni adpetens, sui profusus, ardens in cupiditatibus; satis eloquentiae, sapientiae parum. Vastus animus immoderata, incredibilia, nimis alta semper cupiebat. Hunc post dominationem L. Sullae
lubido maxuma invaserat rei publicae
capiundae; neque, id quibus modis assequeretur, dum sibi regnum pararet, quicquam pensi habebat. Agitabatur magis magisque in dies animus ferox inopia rei familiari et conscientia scelerum, quae utraque iis artibus auxerat, quas supra memoravi. Incitabant praeterea corrupti civitatis mores, quos
pessuma ac
divorsa inter se mala, luxuria atque avaritia, vexabant.
Text 20: Der Niedergang der röm. Republik nach dem Fall Karthagos (Sallust, bellum Iugurthinum 41, 1 - 5)
Ceterum mos partium et factionum ac deinde omnium malarum artium paucis ante annis Romae ortus est otio atque abundantia earum rerum, quae prima mortales ducunt. Nam ante Carthaginem deletam populus et senatus Romanus placide modesteque inter se rem publicam tractabant, neque gloriae neque dominationis certamen inter cives erat: metus hostilis in bonis artibus civitatem retinebat. Sed ubi illa formido mentibus discessit, scilicet ea, quae res secundae amant, lascivia atque suberbia,
incessere. Ita, quod in
advorsis rebus optaverant otium, postquam adepti sunt, asperius acerbiusque fuit. Namque
coepere nobilitas dignitatem, populus libertatem in
lubidinem vortere, sibi quisque ducere, trahere, rapere. Ita omnia in duas partes abstracta sunt, res publica, quae media fuerat, dilacerata
- Kunstgeschichte
- Möglicherweise Pionieroffizier unter Caesar war VITRUV (Vitruvius). Wohl in den 20er Jahren v. Chr. verfasste er seine De architectura libri X, eine umfassende Darstellung der Architektur und des Ingenieurwesens, die auf die Künstler v. a. der Renaissance große Wirkung entfalten sollte.
Mit seinem Sieg über Marcus Antonius und Kleopatra in der Seeschlacht von Actium (31 v. Chr.) beendete Caesars Großneffe Oktavian (63 v. - 14 n. Chr.) die (mit Unterbrechungen) schon seit fast hundert Jahren dauernden Wirren und Bürgerkriege der untergehenden Republik und begründete, seit 27 v. Chr. AUGUSTUS genannt, die römische Kaiserzeit. Zwei Vertreter dieser Umbruchszeit sind die zum Künstlerkreis um Maecenas, einem "Mitarbeiter" des Augustus, zählenden Dichter VERGIL und HORAZ.
P. Vergilius Maro (70 - 19 v. Chr.) aus Mantua hatte die Schrecken des Bürgerkrieges am eigenen Leib erfahren und sich mit seinen Werken, wenn auch nicht vorbehaltlos, in den Dienst der augusteischen Erneuerungspolitik gestellt. Seine Bucolica, zehn Gedichte aus dem Hirtenmilieu ("Eklogen"), begründen den Siegeszug der Ideallandschaft und -gesellschaft "Arkadien" durch die Literatur; besonders die vierte Ekloge wurde berühmt, da man die in ihr prophezeite Geburt eines göttlichen Friedensbringers später gern als Prophetie auf Christus interpretierte. Friedenssehnsucht verraten auch die Georgica (4 Bücher), ein Lehrgedicht über die Landwirtschaft, in der das unverdorbene bäuerliche Leben den Wunsch nach einem geordneten, friedlichen Staatswesen reflektiert. Unbestrittenes Hauptwerk, wenn auch nicht ganz vollendet, ist die Aeneis (12 Bücher), die sich an der Oberfläche als Erzählung von der mythischen Zerstörung Trojas, der Flucht des Aeneas, seinen Irrfahrten, seiner Liebe zu Dido und letztlich seiner Landnahme in Latium, wo er zum Ahnherrn der späteren Römer wird, gibt. Die innere Entwicklung eines Menschen von der Verzweiflung eines Flüchtlings hin zur bejahenden Annahme seiner künftigen Aufgabe, das Dilemma zwischen politisch richtigem und menschlich richtigem Handeln, die Sinnlosigkeit des Krieges und die Schwierigkeit, vom Krieg wieder zum Frieden zu finden, sind nur einige der Themen, die hier kunstvoll verwoben werden. Zusätzlich werden die mythischen Geschehnisse permanent zur Spiegelung der künftigen römischen Geschichte bis zur augusteischen Friedenszeit. Das auch in seiner literarischen Technik anspruchsvolle Werk (Rückblenden und Vorschauen, Perspektivenwechsel etc. werden raffiniert eingesetzt) wurde nicht nur zum Nationalepos Roms, sondern es steht in seiner Wirkung auf Literatur und bildende Kunst bis Heute in einer Reihe mit "Kapazitäten" wie etwa der Bibel, Homer oder Ovid.
Text 21: Das Proömium von Verglis Aeneis (Vergil, Aen. 1, 1 - 11)
Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris
Italiam fato profugus Laviniaque venit
Litora, multum ille et terris iactatus et alto
Vi
superum, saevae memorem Iunonis ob iram,
multaque quoque et bello passus, dum conderet urbem
inferretque deos Latio; genus unde Latinum
Albanique patres atque altae moenia Romae.
Musa, mihi causas memora, quo numine laeso
quidve dolens regina
deum tot volvere casus
insignem pietate virum, tot adire labores
impulerit. Tantaene animis caelestibus irae?
Text 22: Der Befehl Jupiters (Vergil, Aen. 4, 223 - 239)
Merkur soll im Auftrag Jupiters Aeneas, den die Liebe zur Königin Dido von seiner Bestimmung abzuhalten droht, zur Weiterfahrt mahnen.
"Vade age, nate, voca zepyhros et labere pennis,
Dardaniumque ducem, Tyria Karthagine qui nunc
Exspectat fatisque datas non respicit urbes,
Adloquere et celeris defer mea dicta per auras.
Non illum nobis
genetrix pulcherrima talem
promisit Graiumque ideo bis vindicat armis;
sed
fore qui gravidam imperiis belloque frementem
Italiam regeret, genus alto a sanguine Teucri
proderet ac totum sub leges mitteret orbem.
Si nulla accendit tantarum gloria rerum
nec super ipse sua molitur laude laborem,
Ascanione pater Romanas invidet arces?
Quid struit aut qua spe inimica in gente moratur
nec prolem Ausoniam et Lavinia respicit arva?
Naviget! Haec summa est, hic nostri nuntius esto."
Dixerat. Ille patris magni parere parabat
imperio. ...
Text 23: Aeneas in der Unterwelt (Vergil, Aeneis 6, 456 - 474)
In der Unterwelt erfährt Aeneas von seinem Verstorbenen Vater seine Bestimmung und die Roms. Er trifft auch auf Dido, die seinetwegen Selbstmord begangen hat.
"Infelix Dido, verus mihi nuntius ergo
venerat
exstinctam ferroque extrema
secutam.
Funeris heu tibi casus fui! Per sidera iuro,
per superos et, si qua fides tellure sub ima est:
Invitus, regina, tuo de litore cessi.
Sed me iussa deum, quae nunc has ire per umbras,
per loca senta situ cogunt noctemque profundam,
imperiis
egere suis; nec credere quivi
hunc tantum tibi me discessu ferre dolorem.
Siste gradum teque aspectu ne subtrahe nostro!
Quem fugis? Extremum fato, quod te adloquor, hoc est."
...
Illa solo fixos oculos aversa tenebat
nec magis incepto
vultum sermone movetur,
quam si dura silex aut stet Marpesia cautes.
Tandem corripuit sese atque inimica refugit
in nemus umbriferum, coniunx ubi pristinus illi
respondet curis aequatque Sychaeus amorem.
Text 24: Das (autobiographische?) Grabepigramm Vergils (Donat, Vita Verg. 36)
Mantua me genuit, Calabri
rapuere, tenet nunc
Partenope. Cecini pascua, rura, duces.
Hatte Vergil die Hirtendichtung und das Epos auf ein den Griechen ebenbürtiges Niveau gehoben, so gelang HORAZ (Q. Horatius Flaccus, 65 - 8 v. Chr.) Ähnliches mit der Lyrik. Seine vier Odenbücher verraten bei aller thematischen Vielfalt zwei Grundlininen. Die Lebensweisheit Epikurs, dank derer er unter dem Eindruck des allgegenwärtigen Todes zu einem letztlich doch heiteren "carpe diem!" findet, und die Unterstüztung der Bemühungen des Augustus, altrömische Wertvorstellungen behutsam in die neue Reichsidee einzubauen. Populärer als seine Lyrik wurden freilich die in gemütlichem Plauderton gehaltenen Satiren (2 Bücher), von denen insbesondere das Iter Brundisinum ("Reise nach Brindisi" = serm. 1, 5) als (beinahe) erstes Reisegedicht gattungsstiftend wurde. Weiters existieren poetische Briefe, deren letzter als Ars poetica bekannt wurde und wohl die wichtigste Darstellung einer Kunst- bzw. Literaturtheorie zwischen der Poetik des Aristoteles und der des > Scaliger ist.
Tu ne
quaesieris - scire nefas -, quem mihi, quem tibi
finem di dederint, Leuconoë, nec
Babylonios
temptaris numeros. Ut melius, quidquid erit, pati,
seu plures hiemes
seu tribuit Iuppiter ultimam,
quae nunc oppositis debilitat pumicibus mare
Tyrrhenum: sapias! Vina liques et spatio brevi
spem longam reseces! Dum loquimur, fugerat invida
aetas: carpe diem, quam minimum credula postero.
- Neusprachliche Philologien
- Etwas jüngere Zeitgenossen Vergils und Horaz' sind TIBULL (Albius Tibullus, 50 - 19/17 v, Chr.) und PROPERZ (Sex. Propertius, 47? - 15 v. Chr.), die als Hauptvertreter der römischen Liebeselegie gelten. Beide stellen jeweils in Serien von Gedichten (natürlich in elegischen Distichen) schlaglichtartig einzelne Szenen aus der "Geschichte" ihrer Liebesbeziehung dar, wobei manche dieser Sezenen, z. B. die Klage des ausgesperrten Amanten vor der Tür seiner Geliebten (Paraklausithyron), später zum Gemeingut erotischer Dichtung wurden.
Eindeutig einer jüngeren Generation gehört OVID (P. Ovidius Naso, 43 v. Chr. - 18 n. Chr) an. Für ihn ist die augusteische Friedenszeit kein kostbares Geschenk nach langen Kriegsjahren mehr, sondern Normalzustand, über den man sich durchaus auch amüsieren darf. Auch er beginnt mit Liebeselegien (3 Bücher Amores) und reizt mit den Heroides (poet. Briefe mythischer Frauengestalten an ihre abwesenden Geliebten - daraus entwickelt sich die Gattung des Heroinebriefs), der Ars Amatoria (3 Bücher, ein Lehrgedicht über die - leichte - Liebe) und ihrem Gegenstück, den Remedia amoris (Lehrgedicht über Mittel gegen das Verliebtsein), das große Feld der "Liebesdichtung" praktisch restlos aus. In den Jahren nach der Zeitenwende entsteht aber das Hauptwerk, die Metamorphosen (15 Bücher), ein Epos, das einen aus mehreren hundert Verwandlungssagen zusammengesetzten Bilderbogen von der Weltschöpfung bis in römische Zeit bietet und bis heute der Forschung Rätsel aufgibt. Ovids Meisterschaft, mit wenigen Strichen Charaktere bisweilen boshaft, bisweilen liebevoll zu skizzieren, erlebt hier ebenso ihre Hochblüte wie seine funkelnde Ironie und die Schwerelosigkeit der Sprache seiner Verse. Als Gesamtwerk selten nachgeahmt, bildeten die einzelnen Geschichten (z. B. Apoll und Daphne, Iupiter und Io, der Sturz des Phaëthon, Daedalus und Icarus, Acis und Galathea, ...) das "mythologische Grundrepertoire" für Literatur, Musik und bildende Kunst v. a. seit der Renaissance. 8 n. Chr. wurde Ovid ans Schwarze Meer verbannt. Ein auf 12 Bücher angelegtes Werk über den römischen Festkalender wurde nicht mehr fertiggestellt (6 Bücher Fasti). Auch aus seiner Exilszeit existieren zahlreiche Dichtungen, die aber an Popularität hinter den genannten eher zurückblieben.
Text 26: Die "Einleitung" zur Ars Amatoria (Ovid, ars 1, 1 - 4)
Si quis in hoc artem populo non novit amandi,
hoc legat et lecto carmine doctus amet.
Arte citae veloque rates remoque reguntur,
arte leves currus: arte regendus Amor.
Text 27: Wo und wie man eine Partnerin findet (Ovid, ars 1, 135 -156)
Nec te nobilium fugiat certamen equorum.
Multa capax populi commoda Circus habet.
Nil opus est digitis, per quos arcana loquaris,
nec tibi per nutus accipienda nota est:
Proximus a domina, nullo prohibente, sedeto,
iunge tuum lateri qua potes usque latus.
Et bene, quod cogit, si nolis, linea iungi,
quod tibi tangenda est lege puella loci.
Hic tibi quaeratur socii sermonis origo,
et moveant primos publica verba sonos.
Cuius equi veniant, facito studiose requiras:
Nec mora, quisquis erit, cui favet illa, fave.
At cum pompa frequens caelestibus ibit eburnis,
tu Veneri dominae plaude favente manu.
Utque fit, in gremium pulvis si forte puellae
deciderit, digitis excutiendus erit.
Etsi nullus erit pulvis, tamen excute nullum:
Quaelibet officio causa sit apta tuo.
Pallia si terra nimium demissa iacebunt,
collige, et immunda sedulus effer humo.
Protinus, officii pretium, patiente puella
contingent oculis crura videnda tuis.
Text 28: Ein Sommernachmittag (Ovid, Amores 1, 5)
Aestus erat, mediamque dies exegerat horam;
Adposui medio mebra levanda toro.
Pars adaperta fuit, pars altera clausa fenestrae;
quale fere silvae lumen habere solent.
Qualia sublucent fugiente crepuscula Phoebo,
aut ubi nox abiit, nec tamen orta dies.
Illa verecundis lux est praebenda puellis,
qua timidus latebras speret habere pudor.
Ecce, Corinna venit, tunica velata recincta,
candida dividua colla tegente coma -
qualiter in thalamos famosa Semiramis isse
dicitur, et multis Lais amata viris.
Deripui tunicam - nec multum rara nocebat;
pugnabat tunica se tamen illa tegi.
Quae cum ita pugnaret, tamquam quae vincere nollet,
victa est non aegre proditione sua.
Ut stetit ante oculos posito velamine nostros,
in toto nusquam corpore menda fuit.
Quos umeros, quales vidi tetigique lacertos!
Forma papillarum quam fuit apta premi!
Quam castigato planus sub pectore venter!
Quantum et quale latus! Quam iuvenale femur!
Singula quid referam? Nil non laudabile vidi
et nudam pressi corpus ad usque meum.
Cetera quis nescit? Lassi requievimus ambo.
Proveniant medii sic mihi saepe dies!
Text 29: Aus der Schilderung vom Ursprung der Welt (Ovid, Metamorphosen 1, 72 - 86)
Neu regio
foret ulla suis animalibus orba,
astra tenent caeleste solum formaeque deorum,
cesserunt nitidis habitandae piscibus undae,
terra feras cepit, volucres agitabilis aer.
Sanctius his animal mentisque capacius altae
deerat adhuc et quod dominari in cetera posset:
Natus homo est, sive hunc divino semine fecit
Ille opifex rerum, mundi melioris origo,
sive recens tellus seductaque nuper ab alto
aethere cognati retinebat semina caeli.
Quam satus Iapeto mixtam pluvialibus undis
finxit in effigiem moderantum cuncta deorum,
pronaque cum spectent animalia cetera terram,
os homini sublime dedit caelumque videre
iussit et erectos ad sidera tollere vultus.
Text 30: Die Verwandlung der Echo (Ovid, Metamorphosen 3, 356 - 369)
Corpus adhuc Echo, non vox erat; et tamen usum
garrula non alium, quam nunc habet, oris habebat,
reddere de multis ut verba novissima posset.
Fecerat hoc Iuno, quia, cum deprendere posset
Sub Iove saepe suo nymphas in monte iacentes,
illa deam longo prudens sermone tenebat,
dum fugerent nymphae. Postquam hoc Saturnia sensit,
Huius," ait: "linguae, qua sum delusa, potestas
parva tibi dabitur vocisque brevissimus usus."
Reque minas firmat; tamen haec in fine loquendi
ingeminat voces auditaque verba reportat.
Wichtigster Historiker dieser Zeit ist T. LIVIUS (64/59 v. - 12/17 n. Chr.), dessen offenkundig nicht ganz vollendetes Werk in 142 Büchern von der Gründung Roms (Ab urbe condita) bis knapp vor der Zeitenwende reichte und eine stilistisch gleichmäßig und ansprechend durchgeformte Gesamtdarstellung der römischen Geschichte in annalistischer Form, also Jahr für Jahr, bietet, an analytischer Schärfe aber hinter Sallust zurücksteht und gelegentlich auch fragwürdigen Quellen kritiklos folgt. Die ungeheure Länge des Werkes regte schon bald zur Erstellung von Kurzfassungen an, sodass vom Original nur die Bücher I bis X (753 - 293) und XXI bis XLV (219 - 167) erhalten blieben.
Text 31: Die Apotheose (Vergöttlichung) des Romulus (Livius, ab urbe condita 1, 16, 1 - 3)
His mortalibus editis operibus, cum ad exercitum recensendum contionem in campo ad Caprae paludem haberet, subito coorta tempestas [est et] cum magno fragore tonitribusque tam denso regem operuit nimbo, ut conspectum eius contioni abstulerit; nec deinde in terris Romulus fuit. Romana pubes sedato tandem pavore, postquam ex tam turbido die serena et tranquilla lux rediit, ubi vacuam sedem regiam vidit, etsi satis credebat patribus, qui proximi steterant,
sublimem raptum procella, tamen velut orbitatis metu icta maestum aliquamdiu silentium obtinuit. Deinde a paucis initio facto, deum deo natum, regem parentemque urbis Romanae salvere universi Romulum iubent; pacem precibus exposcunt,
uti volens propitius suam semper sospitet progeniem.
Texte 32: Der zweite Punische Krieg als der bedeutendste für Rom (Livius, ab urbe condita 21, 1 - 3)
In parte operis mei licet mihi praefari, quod in principio summae totius professi plerique sunt rerum scriptores, bellum maxime omnium memorabile, quae umquam gesta sint, me scripturum [esse], quod Hannibale duce Carthaginienses cum populo Romano
gessere. Nam neque validiores opibus ullae inter se civitates gentesque contulerunt arma neque his ipsis tantum umquam virium aut roboris fuit; et haud ignotas belli artes inter sese, sed expertas primo Punico conferebant bello, et adeo fortuna belli ancepsque Mars fuit, ut propius periculum fuerint [ii], qui vicerunt.
Text 33: Eine Episode aus dem zweiten Punischen Krieg (Livius, ab urbe condita; 22,51, 1 - 4)
Hannibali victori cum ceteri circumfusi gratularentur suaderentque, ut tanto perfunctus bello, diei quod reliquum esset, noctisque insequentis quietem et ipse sibi sumeret et fessis daret militibus, Maharbal, praefectus equitum, minime cessandum [esse] ratus: "Immo ut, quid hac pugna sit actum, scias: die quinto," inquit, "victor in Capitolio epulaberis. Sequere! Cum equite ... praecedam." Hannibali nimis laeta res est visa maiorque, quam ut eam statim capere possit. Itaque voluntatem se laudare Maharbalis ait; ad consilium pensandum temporis opus esse. Tum Maharbal: "Non omnia nimirum eidem di
dedere. Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis." Mora eius diei satis creditur saluti fuisse urbi atque imperio.
Ein Freigelassener des Augustus war der Fabeldichter PHAEDRUS, dessen 5 Bücher Fabulae Aesopiae die erste Zusammenstellung von Fabeln in Buchform boten, auch wenn diese Gattung freilich schon zuvor lange Tradition hatte. Anerkennung findet diese Sammlung jedoch kaum. Erst in der Spätantike entstehen weitere Prosabearbeitungen. Die Gattung der Fabel geht freilich nicht verloren, wie zahlreiche mittelalterliche Dichter und und die literarische Fabel der Neuzeit (Lafontaine, Lessing) zeigen.
Text 34: Wolf und Schaf (Phaedrus 1, 1)
Ad rivum eundem lupus et agnus venerant
siti compulsi, superior stabat lupus
longeque inferior agnus. Tunc fauce improba
latro incitatus iurgii causam intulit.
"Quare," inquit: " turbulentam fecisti mihi
aquam bibenti?" Laniger contra timens:
"
Qui possum, quaeso, facere, quod quereris, lupe?
A te decurrit ad meos haustus liquor."
Repulsus ille veritatis viribus:
"Ante hos sex menses male," ait: "dixisti mihi."
Respondit agnus: "Equidem natus non eram."
"Pater hercle tuus," ille inquit: "male dixit mihi."
Atque ita correptum lacerat iniusta nece.
Haec propter illos scripta est homines fabula,
qui fictis causis innocentes opprimunt.
Text 35: Fuchs und Rabe (Phaedrus 1, 13)
Qui se laudari gaudet verbis subdolis,
Vere dat poenas turpi paenitentia.
Cum de fenestra corvus raptum caseum
comesse vellet celsa residens arbore,
vulpes, ut vidit, blande sic coepit loqui :
"O qui tuarum, corve, pennarum est nitor!
Quantum decorem corpore et vultu geris!
Si vocem haberes, nulla prior ales
foret."
At ille stultus, dum vult vocem ostendere,
emisit ore caseum, quem celeriter
dolosa vulpes avidis rapuit dentibus.
Tum demum ingemuit corvi deceptus stupor.
Hac re probatur, quantum ingenium polleat;
Virtute semper praevalet sapientia.
Text 36: Frosch und Ochse (Phaedrus 1, 24)
Inops, potentem dum vult imitari, perit.
In prato quondam rana conspexit bovem
et tacta invidia tantae magnitudinis
rugosam inflavit pellem: tum natos suos
interrogavit, an bove esset latior.
Illi negarunt. Rursus intendit cutem
maiore nisu et simili quaesivit modo,
quis maior esset. Illi dixerunt bovem.
Novissime indignata dum vult validius
Inflare sese, rupto iacuit corpore.
Ebenfalls ein Freigelassener des Augustus ist HYGIN. Auch wenn die so genannten Fabulae
Hygini (Auszüge aus Schulbüchern der Mythologie) kaum von ihm stammen dürften, seien
sie aus thematischen Gründe hier angeführt.
Text 37: Auswahl aus den Fabulae Hygini
Laios (nach Hygin, fab. 66)
Laio, Labdaci filio, regi Thebanorum, ab Apolline erat responsum, ut mortem
de manu filii sui caveret. Itaque cum Iocasta, uxor eius, peperisset, iussit
infantem exponi. Quem inventum Polybus, rex Corinthi, eiusque uxor, quod
orbi erant liberis, pro suo educaverunt eumque Oedipum nominaverunt.
Ödipus (nach Hygin, fab. 67)
Postquam Oedipus, Laii et Iocaste filius, ad puberem aetatem pervenit,
fortissimus praeter ceteros erat, eique per invidiam aequales obiciebant
eum subditum esse Polybo. Quod Oedipus sensit non falso sibi obici. Itaque,
cum veros parentes cognoscere voluisset, Delphos est profectus patremque
obviam habuit. Oedpius iratus, quia ille sibi viam dari iusserat, inscius
patrem suum de curru detraxit et occidit. Tunc regnum paternum et
Iocastam matrem inscius accepit uxorem, ex qua procreavit liberos. Interim
Thebis sterilitas frugum et penuria incidit ob Oedipus scelera.
Dum haec Thebis geruntur, Corinthi Polybus decedit. Quo audito Oedipus
moleste ferre coepit existimans patrem suum obisse; sed cum audivisset,
quorum parentum filius esset, et vidisset se tot scelera nefaria fecisse, ex
veste matris fibulas detraxit et se luminibus privavit.
Das Parisurteil (Hygin, fab. 92)
Cum Thetis, Iovis filia, Peleo nuberet, ad epulum dicitur Iuppiter omnes deos
convocasse excepta Eride, id est Discordia. Quae cum postea supervenisset
nec admitteretur ad epulum, ab ianua misit in medium
malum dixitque, ut
quae esset formosissima, attolleret. Itaque Iuno, Venus, Minerva formam sibi
vindicare coperunt; inter quas magna discordia orta Iuppiter imperat
Mercurio, ut deducat eas in Ida monte ad Alexandrum Paridem eumque
iubeat iudicare. Cui Iuno, si secundum se iudicasset, pollicita est in
omnibus terris eum regnaturum; Minerva, si inde victrix discederet,
fortissimum eum inter mortales futurum et omni artificio
scium. Venus
autem Helenam, formosissimam omnium mulierum, se in coniugium
daturam promisit. Paris donum posterius prioribus anteposuit Veneremque
pulcherrimam esse iudicavit; ob id Iuno et Minverva Troianis fuerunt
infestae. Alexander Veneris impulsu Helenam a Lacedaemone ab hospite
Menelao Troiam abduxit eamque in coniugio habuit.
Das Trojanische Pferd (Hygin, fab. 108)
Achivi cum per decem annos Troiam capere non possent, Epeus monitu
Minervae equum mirae magnitudinis ligneum fecit; eoque sunt collecti
fortissimi Achivi. In equo scripserunt: DANAI MINERVAE DONO DANT
castraque transtulerunt Tenedo. Id Troiani cum viderunt, arbitrati sunt
hostes abisse. Priamus equum in arcem Minervae duci imperavit; Cassandra
autem cum vociferaretur inesse hostes, fides ei habita non est. Cum Troiani
igitur equum in arce posuissent et ipsi lusu atque vino lassi obdormissent,
Achivi ex equo aperto exierunt et portarum custodes occiderunt sociosque
signo dato receperunt et Troia sunt potiti.
Prometheus (Hygin, fab. 144)
Homines antea ab immortalibus ignem petebant neque in perpetuum servare
sciebant. Prometheus autem ignem detulit in terras hominibusque
monstravit, quomodo cinere obrutum servarent. Ob hanc rem Mercurius
Iovis iussu deligavit eum in monte Caucaso ad saxum clavis ferreis et
aquilam apposuit, quae iecur eius exederet; quantum die ederat, tantum
nocte crescebat. Hanc aquilam post triginta annos Hercules interfecit
eumque liberavit.
Die Bürgschaft (Hygin, fab. 257, 3)
In Sicilia Dionysius tyrannus crudelissimus cum esset suosque cives
cruciatibus interficeret, Moerus tyrannum voluit interficere; quem satellites
cum deprehendissent armatum, ad regem perduxerunt. Qui interrogatus
respondit se regem voluisse interficere. Quem rex iussit crucifigi; a quo
Moerus petit tridui commeatum, ut sororem suam collocaret et daret
tyranno Selinuntium amicum suum, qui sponderet eum tertio die venturum.
Cui rex indulsit commeatum ad sororem collocandam dicitque Selinuntio,
nisi ad diem Moerus venisset, eum eandem poenam passurum, Moerumque
dimisit. Qui collocata sorore cum reverti vellet, repente tempestate orta
flumen ita crevit, ut nec transiri nec transnatari posset; ad cuius ripam
Moerus consedit et flere coepit timens, ne amicus pro se periret.
Cum iam horae novem tertii diei praeterissent neque Moerus revertisset,
tyrannus iussit duci Selinuntium ad crucem. Qui cum duceretur, vix
tandem Moerus superato flumine consequitur carnificem exclamatque a
longe: "Sustine, carnifex, adsum, pro quo ille spopondit!" Quod factum
tyranno nuntiatum est. Dionysius eos perduci ad se iussit vitamque Moero
concessit rogavit eos, ut se in amicitiam reciperent.
- Neusprachliche Philologien
- Nach den Höhepunkten der Literatur unter Augustus hatte es das nachfolgende Jahrhundert schwer, Werke von ähnlicher Leuchtkraft zu schaffen. Von dem umfangreichen Roman Satyricon des PETRONIUS (+ 66 n. Chr.), der kaleidoskopartig und oft wild überzeichnet Gesellschaftssatire mit erotischen Abenteuern mischt, sind nur Ausschnitte erhalten, die den an sich schon chaotischen Eindruck noch steigern. Bis heute wirkt dieser Text durch eine Verfilmung durch Fellini nach. Ebenfalls aus der Zeit Neros stammt die PHARSALIA des Lukan (M. Annaeus Lucanus, ... 65 n. Chr.), ein Epos über den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius, worin der Dichter auf den Auftritt der sonst üblichen Götter verzichtet. TIB. SILIUS ITALICUS (25? - 101) verfasste in flavischer Zeit (= 69 - 96) ein Epos über den zweiten punischen Krieg mit dem Titel Punica. P. PAPINIUS STATIUS (um 40 - 96) gilt als Hofdichter Kaiser Domitians (er regierte 81 - 96). Sein mythisches Epos Thebaïs (12 Bücher) über den "Zug der Sieben" gegen Theben wurde im Mittelalter hoch geschätzt. Kleinere Gedichte edierte er in der Sammlung Silvae ("Wälder"). Als qualitätvolle höfische Dichtung wurden sie in der Neuzeit stark nachgeahmt, auch der Titel begründete eine Mode.
Wie Petronius und Lukan fiel auch SENECA D. J. (L. Annaeus Seneca, 4 v. Chr. - 65 n. Chr.) den Säuberungsaktionen Neros zum Opfer. Nach Cicero gilt er als der zweite philosophische Schriftsteller Roms, tritt aber im Unterschied zu jenem vehement für eine einzelne philosophische Richtung ein, die Stoa: Der Idealzustand des Menschen ist die "stoische Ruhe", die Unempfindlichkeit und seelische Unbewegtheit gegenüber Glück und Unglück. Ebenso ist der stoischen Philosophie die Gleichheit aller Menschen ein Anliegen. "Gott" durchdringt als "feuriger Logos" [logos = göttliche Vernunft, aber auch: Wort; letztlich handelt es sich um die Vorstellung von einer besonders feinen Materie] die gesamte Schöpfung. In der so genannten Ekpyrosis geht die Welt in Flammen auf, ebenso geht alles aus der "Feuermaterie" hervor. Das frühe Christentum wurde von der Stoa massiv geprägt. Von Seneca stammen auch die einzigen (bis auf eine) erhaltenen lateinischen Tragödien (9 Stück, mit verschiedenen mythologischen Themen), die v. a. in der frühen Neuzeit große Wirkung entfalteten.
Text 38: Beispiele für richtiges Handeln (Seneca, dial. 5, 22, 1 - 3; 23, 2 - 3)
Haec cogitanda sunt expempla, quae vites, et illa ex contrario, quae sequaris, moderata, lenia, quibus nec ad irascendum causa defuit nec ad ulciscendum potestas:
Quid enim facilius fuit Antigono quam duos manipulares duci iubere, qui incumbentes regis tabernaculo faciebant, quod homines et periculosissime et libentissime faciunt, de rege suo male existimabant? Audierat omnia Antigonus, utpote cum inter dicentes et audientem palla interesset. Quam ille leviter commovit et "Longius, inquit: "discedite, ne vos rex audiat!"
Idem quadam nocte, cum quosdam ex militibus suis exaudisset omnia mala imprecantes regi, qui ipsos in illud iter et inextractabile lutum deduxisset, accessit ad eos, qui maxime laborabant, et, cum ignorantes, a quo adiuvarentur, explicuisset "Nunc," inquit: "male dicite Antigono, cuius vitio in has miserias incidistis. Ei autem bene optate, qui vos vos ex hac voragine eduxit!" ...
... Demochares ad Philippum inter alios Atheniensium legatos venerat. Audita benigne legatione Philippus "Dicite," inquit: "mihi, facere quid possim, quod sit Atheniensibus gratum."
Excepit Demochares et "Te," inquit: "suspendere!" Indignatio circumstantium ad tam inhumanum responsum exorta erat. Quos Philippus conticiscere iussit et ... illum salvum incolumemque dimittere. "At vos," inquit: "ceteri legati, nuntiate Atheniensibus multo superbiores esse, qui ista dicunt, quam qui impune dicta audiunt."
Text 39: Vom Umgang mit Sklaven (Seneca, epist. 47)
Seneca Lucilio suo salutem!
Libenter ex iis, qui a te veniunt, cognovi familiariter te cum servis tuis vivere. Hoc prudentiam tuam, hoc eruditionem decet. "Servi sunt!" Immo homines. "Servi sunt!" Immo contubernales. "Servi sunt!" Immo humiles amici. "Servi sunt!" Immo conservi, si cogitaveris tantundem in utrosque licere fortunae. Itaque rideo istos, qui turpe existimant cum servo suo cenare; quare, nisi quia superbissima consuetudo cenanti domino stantium servorum turbam circumdedit? ...
[...]
Vis tu cogitare istum, quem servum tuum vocas, ex iisdem seminibus ortum [esse] eodem frui caelo, aeque spirare, aeque vivere, aeque mori! Tam tu illum videre ingenuum potes quam ille te servum. ... Nolo in ingentem me locum immittere et de usu servorum disputare, in quos superbissimi, crudelissimi, contumeliosissimi sumus. Haec tamen praecepti mei summa est: Sic cum inferiore vivas, quemadmodum tecum superiorem velis vivere! [...]
Von den vielen Werken PLINIUS D. Ä. (C. Plinius Secundus, 23/24 - 79, + beim Vesuvausbruch) hat sich die Naturalis historia (37 Bücher) erhalten, eine naturwissenschaftliche Enzyklopädie (Geographie, Zoologie, Botanik, Medizin, Geologie), die mindestens bis ins Spätmittelalter "marktbeherrschend" blieb (> Isidor v. Sevilla, Hrabanus Maurus!).
- Neusprachliche Philologien
- Mit MARTIAL (M. Valerius Maritalis, 40? - 102?) erreicht das römische Epigramm seinen Höhepunkt. Martials feingeschliffene, oft aber überspitzte oder verletzende Pointen treffen Einzelpersonen und ihre Schwächen ebenso wie ganze Stände. Seine eher peinlichen aber stets geistvollen Schmeichelgedichte an Kaiser Domitian verraten die soziale Not, die ihn zwang, sein hohes Talent letztlich zu verschleudern, um zu gefallen.
Text 40: Epigrammata Martialis
Berufswechsel (1, 47)
Nuper erat medicus, nunc est
vispillo Diaulus:
Quod
vispillo facit, fecerat et medicus.
Der Vorteil der Sommerfrische (2, 38)
Quid mihi reddat ager, quaeris, Line, Nomentanus?
Hoc mihi reddit ager: te, Line, non video.
Kein Gegengeschäft (8, 3)
Cur non mitto meos tibi, Pontiliane, libellos?
Ne mihi tu mittas, Pontiliane, tuos.
Durch die Blume gesagt (8, 27)
Munera qui tibi dat locupleti, Gaure, senique,
si sapis et sentis, hoc tibi ait "Morere!"
Vernunftehe - oder doch nicht? (9, 10)
Nubere vis Prisco: Non miror, Paula: sapisti.
Ducere te non vult Priscus: et ille sapit.
Vernunftehe II (10, 8)
Nubere Paula cupit nobis, ego ducere Paulam
nolo: anus est. Vellem, si magis esset anus.
Ein fruchtbarer Acker (10, 43)
Septima iam, Phileros, tibi conditur uxor in agro.
Plus nulli, Phileros, quam tibi reddit ager.
Eine einseitige Sache (11, 64)
Nescio, tam multis quid scribas, Fauste, puellis:
Hoc scio, quod scribit nulla puella tibi.
Größtenteils schon ins zweite Jahrhundert fällt mit seinen Werken der Historiker P. Cornelius TACITUS (ca. 55 - ca. 120): Neben der kleinen Schrift Germania, der ersten und übrigens recht posititven Beschreibung der Germanen, ist er vor allem mit seinen Annales (16 Bücher, behandeln die Zeit von 14 - 68 n. Chr.) und Historiae (ebenfalls 16 Bücher, 69 - 96) - beide Werke sind nur teilweise erhalten - die Hauptquelle für die Geschichte der frühen Kaiserzeit. Sein Stil ist bewusst schwer, die analytische Durchdringung des Stoffes konsequent und intensiv; seine unglaubliche Fähigkeit, den Leser zu manipulieren, macht ihn freilich auch heute zu einer "gefährlichen" Lektüre, selbst für Fachhistoriker.
Text 41: Tacitus, Annales 4, 32 - 33, 1
Pleraque eorum, quae rettuli quaeque referam, parva forsitan et levia ... videri non nescius sum: sed nemo annales nostros cum scriptura eorum contenderit, qui veteres populi Romani res
composuere. Ingentia bella, expugnationes urbium, fusos captosque reges aut, si quando ad interna praeverterent, discordias consulum adversum tribunos, agrarias frumentariasque leges, plebis et optimatum certamina libero egressu memorabant: Nobis in arto et inglorius labor; immota quippe aut modice lacessita pax, maestae urbis res, et princeps proferendi imperii incuriosus erat. Non tamen sine usu fuerit introspicere illa primo aspectu levia, ex
quis magnarum saepe rerum motus oriuntur.
Nam cunctas nationes et urbes populus aut primores aut singuli regunt: delecta ex iis et consociata rei publicae forma laudari facilius quam evenire, vel, si eveniet, haud diuturna esse potest.
Mit Tacitus befreundet war PLINIUS D. JÜNGERE (C. Plinius Caecilius Secundus, 61 - nach 112). Neben dem Panegyricus, einer Dankesrede an Kaiser Trajan, sind 10 Bücher Briefe erhalten. Die ersten neun beinhalten an Freunde geschriebene Briefe, die wohl von Anfang an auch zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Das zehnte Buch beinhaltet die Amtskorrespondenz mit Kaiser Trajan aus der Zeit, als Plinius Statthalter in der Provinz Bithynien war. Zwei Breife an Tacitus berichten von den Ereignissen rund um den Vesuvausbruch (79 n. Chr.), bei dem Plinius' Onkel (> Plinius d. Ältere) den Tod fand. Unter der Korrespondenz mit Kaiser Trajan findet sich auch ein Brief zur Frage, wie der Statthalter mit dem (noch illegalen) Christentum umgehen soll.
Text 42: Plinius, epistulae 6, 16, 1; 4 - 6
C. Plinius Tacito suo s.
Petis, ut tibi avunculi mei exitum scribam, quo verius tradere posteris possis. Gratias ago; nam video morti eius, si celebretur a te immortalem gloriam esse propositam. ...
Erat Miseni classemque imperio praesens regebat. Nonum Kal. Septembres hora fere septima mater mea indicat ei apparere nubem inusitata et magnitudine et specie. Usus ille sole, mox frigida, gustaverat iacens studebatque; poscit soleas, ascendit locum, ex quo maxime miraculum illud conspici poterat. Nubes - incertum procul intuentibus ex quo monte (Vesuvium fuisse postea cognitum est) - oriebatur, cuius similitudinem et formam non alia magis arbor quam pinus expresserit. Nam longissimo velut trunco elata in altum quibusdam ramis diffundebatur, credo, quia recenti spiritu evecta, dein senescente eo destituta aut etiam pondere suo victa in latitudinem vanescebat, candida interdum, interdum sordida et maculosa, prout terram cineremve sustulerat.
Text 43: Plinius, epistulae 10, 96 u. 97 (gekürzt)
Plinius Traiano imperatori.
Sollemne est mihi, domine, omnia, de quibus dubito, ad te referre. Quis enim potest melius vel cunctationem meam regere vel ignorantiam instruere? Cognitionibus de Christianis interfui numquam: Ideo nescio, quid et quatenus aut puniri soleat aut quaeri.
Interim in iis, qui ad me tamquam Christiani deferebantur, hunc sum secutus modum: Interrogavi ipsos, an essent Christiani. Confitentes iterum ac tertium interrogavi supplicium minatus: Perseverantes ad poenam duci iussi. Neque enim dubitabam pertinaciam certe et inflexibilem obstinationem debere puniri. Fuerunt alii similis amentiae, quos, quia cives Romani erant, curavi in urbem remittendos. ...
Propositus est libellus sine auctore multorum nomina continentes. [Eos,] Qui negabant esse se Christianos aut fuisse, dimittendos putavi. Alii ab indice nominati esse se Christianos dixerunt et mox negaverunt; fuisse quidem, sed desiisse, quidam ante triennium, quidam ante plures annos, non nemo etiam ante viginti. Hi quoque omnes imaginem tuam deorumque simulacra venerati sunt et Christo male dixerunt. Affirmabant se solitos esse certo die ante lucem convenire carmenque Christo quasi deo dicere. Quibus peractis morem sibi discedendi fuisse rursusque coeundi ad capiendum cibum. Necessarium credidi ex duabus ancillis etiam per tormenta quaerere, quid esset verum. Nihil aliud inveni quam superstiotionem pravam et immodicam.
Ideo dilata cognitione ad consulendum te decucurri. Visa est enim mihi res digna consulatione, maxime propter periclitantium numerum. Multi enim omnis aetatis, omnis ordinis, utriusque sexus vocantur in periculum et vocabuntur. Neque civitates tantum, sed vicos etiam atque agros superstitionis istius contagio pervagata est.
Traianus Plinio.
Actum, quem debuisti, secutus es. Conquirendi non sunt; si deferantur et arguantur, puniendi sunt. Sine auctore vero propositi libelli in nullo iudicio locum habere debent. Nam et pessimi exempli nec nostri saeculi est.
- Neusprachliche Philologien, Geschichte
- Etwas jünger als Plinius ist SUETON (C. Suetonius Tranquillus, ca. 70 - ca. 140), dessen Serie von Biographien der ersten zwölf Kaiser (Caesar wird hier als erster gezählt, damit ist Domitian die Nr. 12) deutlich höheren Unterhaltungswert hat und zum Vorbild für Einzelbiographien (> Einhard) ebenso wie für (Herrscher-) Biographieserien, ein in der Neuzeit beliebtes Genre, wurde.
- Neusprachliche Philologien
- In die selbe Zeit gehört JUVENAL (D. Iunius Iuvenalis, ca. 60 - ca. 130), dessen 16 Satiren (in Hexametern) die des Horaz an Schärfe weit übertreffen und zu geradezu klassischen Vertretern ihrer Gattung wurden. Sprichwörtlich wurde seine Feststellung "Difficile est saturam non scribere" angesichts der Zeitumstände.
- Geschichte, Theologie, Philosophie
- Unschätzbaren Quellenwert besitzen die Noctes Atticae (20 Bücher) des A. GELLIUS (* ca. 130), ein Sammelwerk mythologischen, historischen und philosophischen Inhaltes.
Text 44: Der Ursprung der Sibyllinischen Orakelbücher (Gellius, Noctes Atticae 1, 19)
In antiquis annalibus memoria super libris Sibyllinis haec prodita est: Anus hospita atque incognita Tarquinium Superbum regem adiit, novem libros ferens, quos esse dicebat divina oracula; eos velle venundare. Tarquinius pretium precontatus est. Mulier nimium atque immensum poposcit; rex, quasi anus aetate desiperet, derisit. Tum illa ... tres libros ex novem deurit et, utrum reliquos sex eodem pretio emere vellet, regem interrogavit. Sed Tarquinius id multo risit magis dixitque anum iam procul dubio delirare. Mulier ibidem statim tres alios libros exussit atque id ipsum denuo placide rogat, ut tres reliquos eodem illo pretio emat. Tarquinius ore iam serio atque attentiore animo fit, eam constantiam confidentiamque non insuper habendam intellegit, libros tres mercatur nihilo minore pretio, quam quod erat pretium pro omnibus. Sed eam mulierem tunc a Tarquinio digressam, postea nusquam loci visam constitit. Libri tres in sacrarium conditi "Sibyllini" appellati; ad eos quasi ad oracalum quindecimviri adeunt, cum di immortales publice consulendi sunt.
Text 45: Gellius, Noctes Atticae 9, 2
Ad Herodem Atticum adiit palliatus quidam et crinitus barbaque longa ac petivit, ut aes sibi daretur. Tum Herodes interrogavit, quisnam esset. Atque ille vultu sonituque vocis
obiurgatorio philosophum se esse dixit et mirari quoque se addidit, cur quaerendum putasset, quod videret: "Video," inquit Herodes: "barbam et pallium, philosophum nondum video."
Text 46: Der Rat des geschlagenen Feldherrn (Gellius, Noctes Atticae 5, 5)
Antiochus rex ostendebat Hannibali in campo copias ingentes, quas bellum populo Romano facturus comparaverat, ornavitque exercitum insignibus argenteis et aureis. Atque ibi rex contemplatione tanti ac tam ornati exercitus
gloriabundus Hannibalem aspicit et "Putasne," inquit: "satis esse Romanis haec omnia?" Tum Hannibal eludens ignaviam
imbelliamque militum pretiose armatorum, "Satis," inquit: "esse credo Romanis haec, etsi avarissimi sunt." Nihil prorsum neque tam lepide neque tam acerbe dici potest: rex de numero exercitus quasiverat, respondit Hannibal de praeda.
- Philosophie, Theologie
- Etwa zeitgleich entsteht in Nordafrika der Roman Metamorphoses (heute besser bekannt als "Der goldene Esel") des APULEIUS. Lucius, ein sehr dem Diesseits ergebener junger Mann, wird (durch eigene Schuld) in einen Esel verwandelt und erhält erst nach langer (und für den Leser dank Sex & Crime sehr unterhaltsamen) Läuterung seine Gestalt durch die Göttin Isis zurück, sodass er sich zu deren Religion bekehrt. Eingelegt ist das Märchen von Amor und Psyche, das auch für die Kunstgeschichte wichtig ist.
^ IV. SPÄTANTIKE, VÖLKERWANDERUNGS- UND VORKAROLINGISCHE ZEIT
In der Spätantike (etwa ab 300) verliert das Heidentum gegenüber dem Christentum zunehmend an Boden. Dennoch entstehen einige wichtige nicht-christliche Werke noch in dieser Spätzeit.
- Neusprachliche Philologien
- Wie stets in der Spätphase einer Kulturepoche blüht die Kommentar- und Sammelliteratur: Von einem Philologen namens SERVIUS (um 400) stammt z.B. ein umfangreicher Kommentar zu den drei Werken Vergils, der als Zeugnis für die antike Art, Literatur zu interpretieren, an sich schon von Interesse ist. Vor allem aber erfreute er sich bis in die Neuzeit größter Beliebtheit, sodass er in zahllosen Fällen von Vergilrezeption in Mittelalter und Neuzeit zum Vergleich heranzuziehen ist.
Bekanntester heidnischer Dichter der Spätantike ist D. MAGNUS AUSONIUS (ca. 310 - 393/94), dessen technische Raffinessen Bewunderung erregten; am bekanntesten ist wohl die Mosella, ein Gedicht über eine Flussfahrt auf der Mosel.
Ein uns heute merkwürdig erscheinendes Werk ist De nuptiis Mercurii et Philologiae (9 Bücher) des MARTIANUS CAPELLA (Anfang 5. Jhdt.): Der Gott Merkur heiratet die zur Göttin erhobene Allegorie der Philologie, als deren Dienerinnen die sieben artes liberales (= die Wissensbereiche, in denen ein freier Mann gebildet zu sein hat) auftreten und sich vorstellen: Grammatik, Dialektik (Logik) und Rhetorik; Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik; man könnte von einer allegorisch eingekleideten Enzyklopädie sprechen. Nicht nur bildete dieser Fächerkanon bis ins Spätmittelalter die Grundlage jeder Schulbildung, sondern gerade wegen seiner allegorischen Form war Martianus Capella einer der meistgelesenen und -rezipierten Autoren im Mittelalter (von hier leiten sich diverse "allegorische Hochzeiten" ab, bis in die Alchemie!).
- Theologie
- Als Begründer der lateinischen christlichen Literatur kann man TERTULLIAN (Sept. Florens Tertullianus, ca. 160 - ca. 220) mit seinem umfangreichen antiheidnischen (apologetischen) und antihäretischen Gesamtwerk ansehen. Vor allem seine Sprachschöpfungen prägten die spätere Theologie (z. B. das Wort trinitas).
Noch deutlich schärfer als Tertullian polemisiert ARNOBIUS von Sicca (gegen 300) in seinem apologetischen Werk Adversus nationes gegen das Heidentum (nationes bzw. gentes, pagani oder ethnici bedeutet im christl. Sinn "Heiden").
Von seinem Schüler LAKTANZ (L. Caecilius Firmianus Lactantius, + nach 317) existiert mit den Divinae institutiones die erste positive überblicksdarstellung der christlichen Lehre.
Unter Konstantin I (Regierungszeit 306 - 337) erlangte das Christentum die rechtliche Gleichstellung mit anderen Religionen, unter Theodosius I (Regierungszeit 379 -395) erfolgte das Verbot aller anderen Glaubensgemeinschaften. Die in dieser Zeit sich entwickelnde erste Hochblüte christlicher Kultur und Literatur bezeichnet man als Patristik (von patres = Väter), wobei man eine Spitzenstellung traditionell den vier (lateinischen) Kirchenvätern Ambrosius, Hieronymus, Augustinus und Gregor dem Großen einräumt (vgl. Darstellungen v. a. auf Kanzeln!).
AMBROSIUS (333 ? - 397) war Hocharistokrat und seit 374 Bischof von Mailand, das damals Kaiserresidenz war. Berühmt und später viel gelesen waren seine Predigten. Er war es auch, der den Hymnengesang und damit die Musik endgültig in die westliche Liturgie einführte. Just der so genannte ambrosiannische Lobgesang, das Te deum, ist nicht von ihm.
HIERONYMUS (348 ? - 419/20) ist wichtig als großer Bibelkommentator und vor allem als Übersetzer der Bibel: seine Vulgata, die sich in karolingischer Zeit (> Alkuin) endgültig durchsetzte, bildet den relevanten Bibeltext Westeuropas bis in die Neuzeit.
Das Alte Testament ist im Lauf des 1. Jtsds. v. Chr. entstanden und größtenteils auf Hebräisch geschrieben, in dieser Form ist es aber z. T. nur schlecht erhalten. Etwa um 200 v. Chr. wurde es in Alexandria ins Griechische übersetzt, angeblich von etwa 70 Gelehrten, daher der Titel Septuaginta für die griechische Ausgabe des Alten Testaments. Das Neue Testament ist von vorneherein griechisch verfasst. Schon vor Hieronymus existierten provisorische Übersetzungen beider Teile ins Lateinische, die man als Vetus Latina (sc. Biblia) bezeichnet, letzlich aber durch die Vulgata verdrängt wurden. Neben den kanonischen Schriften der Bibel existieren so genannte Apokryphen, zum Neuen Testament etwa eine Reihe weiterer Evangelien und Apostelgeschichten (Nikodemusevangelium, Ps. Matthäusevangelium, Petrusakten, ...) in oft wüster Überlieferung. Sie gelten zwar als nicht inspiriert und wurden teilweise sogar verboten, sind aber für die Kunstgeschichte wichtig (Marienlegende, Kindheitserzählungen Jesu, Höllenfahrt Christi, diverse Apostellegenden, ...).
Text 47: Die Weltschöpfung (Genesis 1, 1 - 5 & 26 - 31)
(1) In principio creavit deus caelum et terram. (2) Terra autem erat inanis et vacua, et tenebrae super faciem abyssi, et spiritus dei ferebatur super aquas. (3) Dixitque deus: "Fiat lux." Et facta est lux. (4) Et vidit deus lucem, quod esset bona, et divisit deus lucem ac tenebras. (5) Appellavitque deus lucem diem et tenebras noctem. Factumque est vespere et mane, dies unus. ...
(26) Et ait deus : "Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram; et praesint piscibus maris et volatilibus caeli et bestiis universaeque terrae omnique reptili, quod movetur in terra." (27) Et creavit deus hominem ad imaginem suam; ad imaginem dei creavit illum; masculum et feminam creavit eos.
(28) Benedixitque illis deus et ait illis deus: "Crescite et multiplicamini et replete terram et subicite eam et dominamini piscibus maris et volatilibus caeli et universis animantibus, quae moventur super terram." (29) Dixitque deus: "Ecce dedi vobis omnem herbam afferentem semen super terram et universa ligna, quae habent in semetipsis fructum ligni portantem sementem, ut sint vobis in escam (30) et cunctis animantibus terrae omnique volucri caeli et universis, quae moventur in terra et in quibus est anima vivens, omnem herbam virentem ad vescendum." Et factum est ita. (31) Viditque deus cuncta, quae fecit, et ecce erant valde bona. Et factum est vespere et mane, dies sextus.
Text 48: Das Weihnachtsevangelium (Lukas 2, 1 - 20)
(1) Factum est autem in diebus illis, exiit edictum a Caesare Augusto, ut describeretur universus orbis. (2) Haec descriptio prima facta est praeside Syriae Cyrino, (3) et ibant omnes, ut profiterentur, singuli in suam civitatem. (4) Ascendit autem et Ioseph a Galilaea de civitate Nazareth in Iudaeam civitatem David, quae vocatur Bethleem, eo quod esset de domo ac familia David, (5) ut profiteretur cum Maria desponsata sibi uxore praegnate. (6) Factum est autem, cum essent ibi, impleti sunt dies, ut pareret, (7) et peperit filium suum primogenitum et pannis eum involvit et reclinavit eum in praesepio, quia non erat eis locus in diversorio. (8) Et pastores erant in regione eadem vigilantes et custodientes vigilias noctis supra gregem suum. (9) Et ecce angelus Domini stetit iuxta illos et claritas Dei circumfulsit illos et timuerunt timore magno (10) et dixit illis angelus: "Nolite timere. Ecce enim evangelizo vobis gaudium magnum, quod erit omni populo, (11) quia natus est vobis hodie salvator, qui est Christus Dominus in civitate David. (12) Et hoc vobis signum: Invenietis infantem pannis involutum et positum in praesepio." (13) Et subito facta est cum angelo multitudo militiae calelestis laudantium Deum dicentium: (14) "Gloria in altissimis Deo et in terra pax in hominibus bonae voluntatis." (15) Et factum est, ut discesserunt ab eis angeli in caelum, pastores loquebantur ad invicem: "Transeamus usque Bethleem et videamus hoc verbum, quod factum est, quod fecit Dominus et ostendit nobis." (16) Et venerunt festinantes et invenerunt Mariam et Ioseph et infantem positum in praesepio. (17) Videntes autem cognoverunt de verbo, quod dictum erat illis de puero hoc, (18) et omnes, qui audierunt, mirati sunt et de his, quae dicta erant a pastoribus ad ipsos. (19) Maria autem conservabat omnia verba haec conferens in corde suo. (20) Et reversi sunt pastores glorificantes et laudantes Deum in omnibus, quae audierant et viderant, sicut dictum est ad illos.
Text 49: Von Leiden und Auferstehung Jesu (Mk. 14, 17 - 16, 8 in Auszügen)
14
(17) Et vespere facto venit cum duodecim. (18) Et discumbentibus eis et manducantibus ait Iesus: "Amen dico vobis: Unus ex vobis me tradet, qui manducat mecum." (19) Coeperunt contristari et dicere ei singillatim: "Numquid ego?" (20) Qui ait illis: "Unus ex duodecim, qui intingit mecum in catino. (21) Nam filius quidem hominis vadit, sicut scriptum est de eo. Vae autem homini illi, per quem filius hominis traditur! Bonum est ei, si non esset natus homo ille."
(22) Et manducantibus illis accepit panem et benedicens fregit et dedit eis et ait: "Sumite! Hoc est corpus meum." (23) Et accepto calice gratias agens dedit eis et biberunt ex illo omnes. (24) Et ait illis: "Hic est sanguis meus novi testamenti, qui pro multis effunditur. (25) Amen dico vobis: Iam non bibam de genimine vitis usque in diem illum, cum illud bibam novum in regno dei."[...]
15
(1) Et confestim mane consilium facientes summi sacerdotes cum senioribus et scribis, id est universum concilium, vincientes Iesum duxerunt et tradiderunt Pilato. (2) Et interrogavit eum Pilatus: "Tu es rex Iudaeorum?" At ille respndit: "Tu dicis." (3) Et accusabant eum summi sacerdotes in multis. (4) Pilatus autem rursum interrogabat eum dicens: "Non respondes quidquam? Vide, in quantis te accusant." (5) Iesus autem amplius nihil respondit, ita ut miraretur Pilatus.
(6) Per diem autem festum dimittere solebat illis unum ex vinctis, quem peterent. (7) Erat autem qui dicebatur Barabbas, vinctus cum seditiosis, qui in seditione fecerat homicidium. (8) Et cum ascendisset turba, coepit rogare, sicut faciebat illis. (9) Pilatus autem respondit eis et dixit: "Vultis, dimittam vobis regem Iudaeorum?" (10) Sciebat enim, quod per invidiam tradidissent eum summi sacerdotes. (11) Pontifices autem concitaverunt turbam, ut magis Barabbam dimitteret eis. (12) Pilatus autem iterum respondens aiebat illis: "Quid ergo, vultis, faciam regi Iudaeorum?" (13) At illi iterum clamaverunt: "Crucifige eum!" (14) Pilatus vero dicebat eis: "Quid enim mali fecit?" At illi magis clamaverunt: "Crucifige eum!" (15) Pilatus autem volens populo satisfacere dimisit illis Barabbam et tradidit Iesum flagellis caesum, ut crucifigeretur.
[...]
(33) Et facta hora sexta tenebrae factae sunt per totam terram usque in horam nonam. (34) Et hora nona exclamavit Iesus voce magna: "Heloi, Heloi, lema sabachtani?", quod est interpretatum: "Deus meus, ut quid dereliquisti me?" (35) Et quidam de circumstantibus audientes dicebant: "Ecce Eliam vocat." (36) Currens autem unus et implens spongiam aceto circumponensque calamo potum dabat ei dicens: "Sinite, videamus, si veniat Elias ad deponendum eum." (37) Iesus autem emissa voce magna exspiravit. (38) Et velum templi scissum est in duo a sursum usque deorsum. (39) Videns autem centurio, qui ex adverso stabat, quia sic clamans
exspirasset, ait: "Vere homo hic filius dei erat."
[...]
16
(1) Et cum transisset sabbatum, Maria Magdalene et Maria Iacobi et Salome emerunt aromata, ut venientes ungerent eum. (2) Et valde mane prima sabbatorum veniunt ad monumentum orto iam sole. (3) Et dicebant ad invicem: "Quis revolvet nobis lapidem ab ostio monumenti?" (4) Et respicientes vident revolutum lapidem; erat quippe magnus valde. (5) Et introeuntes in monumentum viderunt iuvenem sedentem in dextris coopertum stola candida et obstupuerunt. (6) Qui dicit illis: "Nolite expavescere! Iesum quaeretis Nazarenum crucifixum. Surrexit, non est hic; ecce locus, ubi posuerunt eum. (7) Sed ite, dicite discipulis eius et Petro: 'Praecedit vos in Galilaeam. Ibi eum videbitis, sicut dixit vobis'." (8) Et exeuntes fugerunt de monumento; invaserat enim eas tremor et pavor et nemini quidquam dixerunt; timebant enim.
Der bedeutendste der vier Kirchenväter ist AURELIUS AUGUSTINUS (354 - 430), der zunächst Rhetor (also Professor für Sprach- und Literaturwissenschaft) in Rom und Mailand war, sich dann (von Ambrosius) taufen ließ und 395 Bischof von Hippo (westl. v. Karthago) wurde. Seine etwa 100 Schriften decken alle Bereiche der Theologie ab und brachten die Verbindung von Christentum und Neuplatonismus (rein transzendenter Gott, hierarchische Anordnung der Schöpfung je nach Gottnähe), die bis zum Beginn der Scholastik das abendländische Denken bestimmen sollte, zustande. Seine extreme Gnaden- bzw. Prädestinationslehre - Erlöst sich der Mensch selbst durch gute Tate, die er aus freiem Willen setzt, oder wirde er unabhängig davon durch die Gnade Gottes erlöst, ohne mit seinem freien Willen darauf Einfluss nehmen zu können? Laut Augustinus eher Letzteres - wurde vom Katholizismus nie voll aufgenommen, wohl aber vom Protestantismus. Von seinen Werken genannt seien die 13 Bücher Confessiones, eine Art Monolog an Gott über sein bisheriges Leben, und das Werk De civitate Dei (22 Bücher), das die Grundlage der mittelalterlichen "kosmologischen" Staatsideen und Geschichtsdeutungen bildet: Dem irdischen Staat (civitas terrena), der sich im Lauf der Geschichte v. a. in der Abfolge der Weltreiche manifestiert, entspricht ein idealer Gottesstaat (civitas Dei, himmlisches Jerusalem). Ihrer wechselseitigen Durchdringung entspricht das Auf und Ab der zielgerichtet verlaufenden Geschichte. Erst am Ende der Zeiten werden beide getrennt und der reine himmlische Staat begründet werden.
Text 50: Über die späte Hinwendung zu Gott (Augustinus, Confessiones 10, 27, 38)
Ubi ergo te inveni, ut discerem te? Neque enim iam eras in memoria mea, priusquam te discerem. Ubi ergo te inveni, ut discerem te, nisi in te supra me? Et nusquam locus; et recedimus et accedimus: et nusquam locus. Veritas, ubique praesides omnibus consulentibus te simulque respondes omnibus etiam diversa consulentibus. Liquide tu respondes, sed non liquide omnes audiunt. Omnes, unde volunt, consulunt, sed non semper, quod volunt, audiunt. Optimus minister tuus est, qui non magis intuetur hoc a te audire, quod ipse voluerit, sed potius hoc velle, quod a te audierit.
Sero te amavi, pulchritudo tam antiqua et tam nova, sero te amavi! Et ecce intus eras et ego foris et ibi te quaerebam et in ista formosa, quae fecisti, deformis irruebam. Mecum eras et tecum non eram. Ea me tenebant longe a te, quae, si in te non essent, non essent.
Vocasti et
clamasti et rupisti surditatem meam;
coruscasti, splenduisti et
fugasti caecitatem meam;
fragrasti et duxi spiritum et anhelo tibi; gustavi et esurio et sitio; tetigisti me et exarsi in pacem tuam.
- Geschichte
- Im Auftrag Augustinus verfaßte Paulus Orosius eine das Alte Testament, die griechische und die römische Geschichte abdeckende Weltchronik (7 Bücher Historia adversus paganos), die Augustinus Theorie in der Praxis der Geschichtsschreibung umsetzen sollte. Er setzt freilich die civitas Dei praktisch gleich mit dem christlichen römischen Kaisertum (> Heiliges Römisches Reich). Das sehr weit verbreitete Werk ist wohl die Hauptgeschichtsquelle des Mittelalters.
Der vierte Kirchenvater, GREGOR DER GROSSE (Gregorius I Magnus, ca. 540 - 604, seit 590 Papst), steht schon am Übergang zum Mittelalter und gilt als einer der großen Organisatoren der Kirche (Mission in Angelsachsen, Schaffung einer definierten weltlichen Macht des Papstes gegenüber dem (oströmischen) Kaiser, Regelung des Weltklerus). Sein Hiobkommentar (35 Bücher) wurde zum Moralhandbuch des Mittelalters. Ein weiteres seiner Werke ist eine Vita (Biographie) des BENEDIKT (Benedictus) von Nursia (um 480 - 547). Als Gründer der Klöster Subiaco und Montecassion (527), für die er seine Mönchsregel (Regula Benedicti) verfasste, ist der Begründer des Benediktinerordens, der v. a. ab der karolingischen Zeit zum Haupträger der Geisteskultur wurde.
- Theologie, Neusprachliche Philologien
- Eine heute vergessene Gattung, die aber seit der Spätantike bis ins Barock (Milton, Klopstock) existierte und auch schon früh in den meisten Nationalsprachen ihre Vertreter fand (Otfried v. Weißenburg, Heliand), ist die Bibelepik, also die Darstellung biblischer Geschehnisse in Gestalt eines Epos. Begründer dieser Tradtion ist C. Vettius Aquilinus IUVENCUS, der um 330 eine epische Paraphrase des Matthäusevangeliums schuf. Erwähnt seien noch der später gleichfalls recht beliebte SEDULIUS, dessen Carmen paschale (gegen 450) die erste epische Evangeliumharmonie bietet, und die Dichterin Faltonia PROBA, die eine Art Kurzfassung von Altem und Neuen Testament in Cento-Form schuf. Ein Cento ist eine Art "Patchwork": Ein Gedicht wird ausschließlich aus Versen oder Versteilen eines (oder mehrerer) Vorbildautors (Vorbildautoren) zusammengesetzt. Im Fall der Proba handelt es sich z. B. um einen reinen Vergilcento).
Im 5. und 6. Jhdt. driften Ost- und Westrom zunehmend auseinander. Während Ostrom sich politisch einigermaßen halten kann, aber noch im 6. Jhdt. Latein als Verwaltungssprache durch Griechisch ersetzt, zerfällt der Westen in eine Reihe germanisch beherrschter Königreiche, in denen die Entwicklung des Latein in die einzelnen romanischen Volkssprachen einsetzt. Zur Herausbildung von volkssprachlicher Literatur kommt es aber letztlich erst im Lauf des Mittelalters.
Am Hof des Ostgotenkönigs Theoderich ("Dietrich von Bern", Regierungszeit 493? - 526) in Ravenna lebte Anicius Manlius Torquatus Severinus BOËTHIUS (ca. 480 - 524), dessen zahlreiche Übersetzungen griechischer philosophischer Werke (darunter manches von Aristoteles) wenigstens kleine Stücke aus diesem Bereich für das lateinische Mittelalter zugänglich hielten. Im Kerker wegen Hochverrats auf die Hinrichtung wartend, verfasste er seine Consolatio philosophiae (die Göttin Philosophia [= Wissenschaft, Glaube und Philosophie in einem] erscheint ihm im Kerker und tröstet ihn), die zu einem Lieblingsbuch des Mittelalters wurde.
Text 51: Boethius, Consolatio philosophiae 1, pr. 2
Die Göttin Philosophia erkennt sofort den Zustand des Eingekerkerten.
"Sed medicinae," inquit: "tempus est quam querelae." Tum vero totis in me intenta luminibus: "Tune ille es," ait: "qui nostro quondam lacte nutritus, nostris educatus alimentis in virilis animi robur evaseras? Atqui talia contuleramus arma quae nisi prior abiecisses invicta te firmitate tuerentur. Agnoscisne me? Quid taces? Pudore an stupore siluisti? Mallem pudore, sed te, ut video, stupor oppressit." Cumque me non modo tacitum sed elinguem prorsus mutumque vidisset, ammovit pectori meo leniter manum et: "Nihil," inquit: "
pericli est, lethargum patitur, communem illusarum mentium morbum. Sui paulisper oblitus est. Recordabitur facile, si quidem nos ante cognoverit; quod ut possit, paulisper lumina eius mortalium rerum nube caligantia tergamus." Haec dixit oculosque meos fletibus undantes contracta in rugam veste siccavit.
Im von den Westgoten beherrschten Spanien (das aber 711 islamisiert wird) entstand das umfangreiche Werk des ISIDOR VON SEVILLA (um 560 - 636). Vor allem seine Etymologiae (auch Origines genannt), eine riesige Enzyklopädie praktisch aller Wissensgebiete, bildete für Jahrhunderte die wohl wichtigste Quelle des Wissens und schlug sogar den älteren Plinius an Beliebtheit.
Text 52: Erfinderschicksal (Isidor, etymologiae 16, 16, 6)
Ferunt sub Tiberio Caesare quendam artificem excogitasse vitri temperamentum, ut flexibile esset et
ductile. Qui cum admissus esset ad Caesarem, porrexit phialam Caesari, quam ille indignatus in pavimentum proiecit. Artifex autem sustulit phialam de pavimento, quae
complicaverat se tamquam vas aeneum; deinde
marculum de sinu protulit et phialam correxit. Hoc facto Caesar dixit artifici: "Numquid alius scit hanc condituram vitrorum?" Postquam ille iurans negavit alterum hoc scire, iussit illum Caesar decollari, ne, dum hoc cognitum fieret, aurum pro luto haberetur et omnium metallorum pretia
abstraherentur; et revera, quia si vasa vitrea non frangerentur, meliora essent quam aurum et argentum.
Als literarischer Vertreter des Frankenreiches sei Bischof GREGOR VON TOURS genannt (538 - 594). Neben seinen Erzählungen über den Hl. Martin von Tours und andere wundertätige Heilige seiner Region ist vor allem die Historia Francorum (10 Bücher, reicht bis 591) die wichtigste und oft sehr unterhaltsame Quelle des frühen Merowingerreiches.
- Geschichte
- Hofdichter der Merowinger war VENANTIUS FORTUNATUS (ca. 530 - ca. 600). Seine zahlreichen Gedichte bieten z. T. überraschende Einblicke in eine uns sonst eher düster und chaotisch erscheinende Zeit.
Das in der Spätantike bereits christliche England wird durch die Einwanderung der Agelsachsen zunächst wieder "entchristianisiert" und weitgehend germanisiert.
- Geschichte, Anglistik
- Historiker dieser Epoche ist GYLDAS mit dem Beinamen SAPIENS (ca. 540 - ca. 570). Seine Schrift De excidio et conquestu Britanniae ist nicht nur das beste Zeugnis für die untergehende keltisch-römische Kultur der Insel, sondern enthält auch die ältesten Hinweise auf König Artus, den man historisch wohl als Anführer im Abwehrkampf gegen die Angelsachsen zu deuten hat.
Relativ unberührt von den Angelsachsen bleibt Irland, wo sich neben der noch lange erhaltenen keltisch-heidnischen eine eigentümlich asketische christliche Kultur und eine lateinische Literatur entwickeln, obwohl Irland nie Bestandteil des römischen Reiches und Latein dort nie Verkerhssprache war. Von Irland aus erfolgt dann die (Re-)Christianisierung Großbritanniens, aber auch des germanischen Mitteleuropa ("Iroschotten; vgl. z. B. das Schottenkloster in Wien!), durchaus in Konkurrenz zu Rom, das sich aber letztlich durchsetzte.
- Geschichte, Theologie
- Für unsere Gegend wichtigster dieser Wandermissionare ist COLUMBAN D. JÜNGERE (543 - 615), der zuerst im Kloster Bangor (Nordostirland) Lehrer war, dann um 590 mit einigen Gefährten auf Missionsfahrt ging. Wichtig auch für die Literaturgeschichte wurden seine Klostergründungen Luxeuil (Burgund) und Bobbio (Oberitalien), einer seiner Schüler, Gallus, gründete St. Gallen (Schweiz). Als Verfasser einer extrem strengen Mönchsregel sowie durch seinen Briefwechsel mit Gregor d. Gr. gehört er auch zur Literaturgeschichte.
Der erste angelsächsische Schriftsteller von Rang ist BEDA (Beiname VENERABILIS, 673? - 735), der seit seiner Jugend im Kloster Wearmouth / Jarrow lebte. Sein riesiges Gesamtwerk umfasst Bibelkommentare, Hymnen, Heiligenviten, Schriften zur Mathematik (darin erstmals Regeln für das Rechnen mit negativen Zahlen), zur Grammatik und Metrik (erster Beleg für die methodische Unterscheidung zwischen quantitierender und akzentuierender Metrik) sowie zur Geschichte. Mit seiner Historia ecclesiastica gentis Anglorum (731 abgeschlossen) verhalf er der Zeitrechnung "nach Christi Geburt" zum Durchbruch.
^ V. KAROLINGISCHE ZEIT UND MITTELALTER
Der Hof Karl des Großen (Kaiserkrönung 800) zog Gelehrte aus allen Bereichen der lateinischen Kultur an (etwas kühn als "karolingische Renaissance" bezeichnet).
Gebürtiger Angelsachse etwa war ALKUIN (ca. 730 - 805), der 781 aus York an den Hof Karls kam. Neben einigen Schriften (z. B. zu den septem artes liberales) wirkte er v. a. als kirchlicher Berater Karls und verhalf der Vulgata (> Hieronymus) zum Durchbruch. Ein weiterer Mitarbeiter ("Bautenminister") Karls war der aus dem Maingau stammende EINHARD (ca. 770 - 840), von dem die nach suetonischem Vorbild gestaltete Vita Karoli Magni herrührt.
Text 53: Eine Beschreibung Karls des Großen (Einhard, Vita Karoli 22)
Corpore fuit amplo atque robusto, statura eminenti, quae tamen iustam non excederet (nam septem suorum pedum proceritatem eius constat habuisse mensuram), apice capitis rotundo, oculis praegrandibus ac vegetis, naso paululum mediocritatem excedenti, canitie pulchra, facie laeta et hilari. (...) Quamquam cervix obesa et brevior venterque proiectior videretur, tamen haec ceterorum membrorum celabat aequalitas. Incessu firmo totaque corporis habitudine virili, voce clara quidem, sed quae minus corporis formae conveniret.
Valitudine prospera, praeter quod, antequam decederet, per quattuor annos crebro febribus corripiebatur, ad extremum etiam uno pede claudicaret. Et tunc quidem plura suo arbitratu quam medicorum consilio faciebat, quos paene exosos habebat, quod ei in cibis assa, quibus assuetus erat, dimittere et elixis adsuescere suadebant. Exercebatur assidue equitando ac venando; quod illi gentilicium erat, quia vix ulla in terris natio invenitur, quae in hac arte Francis possit aequari.
Delectabatur etiam vaporibus aquarum naturaliter calentium frequenti natatu corpus exercens; cuius adeo peritus fuit, ut nullus ei iuste valeat anteferri. Ob hoc etiam Aquisgrani regiam exstruxit ibique extremis vitae annis usque ad obitum perpetim habitavit. Et non solum filios ad balneum, verum etiam optimates et amicos, aliquando etiam satellitum et custodum corporis turbam invitavit, ita ut nonnumquam centum vel eo amplius homines una lavarentur.
- Geschichte
- Aus dem Friaul stammte PAULUS DIACONUS (720/30 - 799). Zunächst Mönch in Montecassino und Gelehrter am langobardischen Königshof in Pavia, wechselte er nach dem Fall des Langobardenreiches an den Karlshof. Als Quellen wichtig sind seine Historia Langobardorum sowie das von ihm angefertigte Exzerpt des im Original nur teilweise erhaltenen Wörterbuchs des FESTUS ("Festus-Diaconus").
Schüler Alkuins war der aus Mainz stammende HRABANUS MAURUS (ca. 780 - 856), seit 822 Abt von Fulda, 847 Erzbischof von Mainz), der seinerseits wieder Lehrer von > Wahlahfrid Strabo und Otfried von Weißenburg war. Heute noch als Kuriosum bekannt sind seine Figurengedichte auf das Kreuz Christi (De laudibus sanctae crucis), den Ruhmestitel "Praeceptor Germaniae" ("Lehrer Germaniens") aber brachte ihm neben großen Bibelkommentaren und einer Unzahl kleinerer Schriften v. a. seine illustrierte (!) Enzyklopädie De rerum naturis (22 Bücher) ein.
- Neusprachliche Philologien
- Sein Schüler WALAHFRID STRABO (809? - 849, in jungen Jahren Mönch auf der Bodenseeinsel Reichenau, nach einigen Wanderjahren ab 838 dort Abt) schrieb ebenfalls Bibelkommentare, aber kurz, damit sie handlicher und billiger (!) seien als die seines Lehrers. Wichtiger sind seine Gedichte, z. B. De cultura hortorum (auch einfach Hortulus genannt), ein reizvoller Gedichtzyklus auf die einzelnen Pflanzen im Reichenauer Klostergarten.
In dem von der Reichenau nur wenig entfernten Kloster St. Gallen verbrachte NOTKER BALBULUS (ca. 840 - 912) den Großteil seines Lebens als Lehrer und Bibliothekar. Neben einer etwas anekdotenhaften Biographie Karls des Großen (Gesta Karoli Magni) stammen von ihm etwa 40 Sequenzen (üblicherweise in Strophenpaaren aufgebaute und später meist gereimte Gedichte, die in der Messe zwischen Lesung und Evangelium gesungen werden).
- Philosophie, Germanistik
- Gleichfalls Lehrer in St. Gallen war NOTKER LABEO (ca. 950 - 1022), der für seine Unterrichtstätigkeit (Teil-) Übersetzungen der ersten zwei Bücher von De nuptiis des > Martianus Capella und der "Kategorien" des Aristoteles (einer Schrift zur Logik), die er in der Übersetzung des > Boethius kannte, ins Althochdeutsche anfertigte. Weitere solche Übersetzungen, z. B. der Bucolica Vergils und des Psalters, sind leider verloren.
- Germanistik
- Vielleicht ebenfalls aus dem Umkreis von St. Gallen stammt der Waltharius ("Waltharlied"), das älteste erhaltene längere Epos aus dem germanischen Sagenkreis (9./10. Jhdt.), das in qualitätvollen Hexametern die Sage von Walther und Hildegund, Gunther und Hagen bringt. Wie eng dabei die Anlehnung an althochdeutsche Heldenlieder dieses Inhalts ist, ist ungeklärt, auch manche parodistische Züge geben Rätsel auf.
Ebenfalls in das literarisch sonst nicht übermäßig produktive 10. Jhdt. fällt die Nonne HROTSVITH (Roswitha) von GANDERSHEIM (ca. 935 - 975). Erstaunliche Bildung sowie technisches Können zeigt ihr Werk, das sich in drei Teile gliedern lässt: 8 Stücke Heiligenlegenden in Hexametern; sechs Komödien in rhythmischer Prosa, gedacht als christlicher Anti-Terenz und tatsächlich ziemlich komisch, wenn auch meist unfreiwillig; kurze Epen über Otto I und über das Kloster Gandersheim. Als Schriftstellerin ebenso wie als Autorin von Komödien ist sie im Mittelalter eine absolute Rarität, ihre Wiederentdeckung durch > Celtis wurde zur Sensation.
- Geschichte
- Aus dem Feld der Geschichtsschreibung des Hochmittelalters in Deutschland seien folgende Vertreter genannt: THIETMAR VON MERSEBURG (975 - 1018, seit 1009 Bischof von Merseburg) ist der Autor einer Chronik, die als zuverlässige Quelle für ottonische Zeit gilt, stilitisch aber eher bedenklich ist.
LAMPERT VON HERSFELD (1028? - nach 1081) hingegen ist der Autor von stilistisch meisterhaften Annalen (bis 1077), denen man freilich sein Parteigängertum der salischen Kaiser gegen Gregor VII (Investiturstreit) deutlich anmerkt. Als Idealkaiser schlechthin wird Heinrich III gepriesen.
Höhepunkt der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung ist OTTO VON FREISING (1112/15 - 1158), Sohn Leopolds III von Österreich, seit 1138 Bischof von Freising. Seine Historia de duabus civitatibus (8 Bücher) steht, wie schon am Titel kenntlich, in der Tradtion Augustinus' und Orosius und bietet eine Weltgeschichte von der Schöpfung bis zum Weltende, das nach Ottos Auffassung bereits sehr nahe ist. Die 1157/58 entstandenen Gesta Friderici preisen Kaiser Friedrich Barbarossa als Bringer einer neuen Friedenszeit. Da sie notgedrungen nur die frühen Jahre Friedrichs umfassen können (Regierungszeit 1152 - 1195), führte ein Schüler Ottos (Rahewin) die Biographie später fort.
- Neusprachliche Philologien
- In Einzelteilen zu ca. zwei Drittel erhalten ist der Ruodlieb, der erste fiktionale Ritterroman, in leoninischen (d. h. in sich gereimten) Hexametern, datiert etwa auf die Mitte des 11. Jhdts. In seinem Aufbau (Dienst eines jungen Ritters an fremdem Hof, Heimkehr, Gewinn einer Königstochter, letztlich selbst König) und seiner Tendenz zum "Ritterspiegel" entspricht er bereits den späteren nationalsprachlichen Ritterromanen.
Das älteste Tierepos der Literatur in Deutschland ist die Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam (kurz Ecbasis captivi, "Flucht eines Gefangenen", um ca. 1050): Die Rahmenhandlung, die Geschichte eines übermütig seiner Herde davongelaufenen Kalbes, das dem Wolf in die Hände fällt, aber letztlich von seiner Herde gerettet wird, dürfte als Allegorie auf einen dem Kloster entsprungenen aber wieder zurückgekehrten Mönch zu lesen sein. Das komplizierte Werk (über 1200 Hexameter, gespickt mit Zitaten) ist eher schwer zu lesen.
Deutlich flüssiger zu lesen ist das Epos De Ysengrimo et Rainarde (kurz Ysengrimus), in welchem etwa zwei Dutzend Einzelfabeln geschickt zusammengefügt sind. Hier erhalten die Tiere auch ihre später üblichen Namen (Meister Isegrimm, Reineke Fuchs, etc.)
- Kunstgeschichte
- Die Kunst des Mittelalters liebt symbolische Verschlüsselungen und
Allegorien. Die vielleicht wichtigste Sammlung solcher Symbole ist der Physiologus, ein ursprünglich griechisches Werk aus der Zeit um 200 n. Chr., das verschiedene Tiere, Pflanzen und Edelsteine christlich - allegorisch deutet. Diese Sammlung wurde vielfach erweitert bzw. gekürzt und war im gesamten Mittelalter verbreitet. Gerne wurde auch nur der Abschnitt über die Tiere herausgegriffen, nach Geschmack erweitert und oft schön illustriert (so genannte Bestiarien).
Als Höhepunkt der lat. Dichtung des Hochmittelalters kann man vielleicht WALTHER VON CHATILLON (ca. 1135 - ca. 1200) bezeichnen, ein Geistlicher und gelegentlich Diplomat, der u. a. auch am Rande in die Ereignisse rund um die Ermordung Thomas Beckets (1170) verwickelt war. Neben zahlreichen kleinen Gedichten (geistlich, historisch, satirisch; auch Liebesgedichte) rührt von ihm ein Epos (Alexandreis) in 10 Büchern, das die Taten Alexanders des Großen zum Inhalt hat. Alexander wird als idealer Herrscher dargestellt, der aber der Hybris verfällt und so letztlich an sich selbst scheitert.
- Romanistik
- Etwas früher gibt es in Frankreich bereits eine wichtige Gruppe von Dichtern, den so genannten Loire-Kreis, dessen bekanntester Vertreter HILDEBERT VON LAVARDIN (1056 - 1133) ist. Unter seinen Gedichten befinden sich zwei Elegien auf die Stadt Rom, die als früheste Zeugnisse einer fast romantischen "Ruinenstimmung" gelten. Stilistisches Vorbild ist für ihn wie für die meisten seiner Zeitgenossen Ovid; man spricht daher um 1100 von einer "aetas Ovidiana".
Persönlich praktisch ungreifbar (er gehörte zum Umkreis Rainalds von Dassel, des Kanzlers Friedrich Barbarossas) ist der ARCHIPOETA (12. Jhdt.), von dem zehn z. T. recht lange Gedichte erhalten sind, v. a. die so genannte Vagantenbeichte (Aestuans intrinsecus ...), Zeugnisse einer gewissen Bildung, eines hohen Formvirtuosentums und ungewöhnlich stark zum Ausdruck gebrachter Leidenschaften, gepaart mit einer tüchtigen Portion Witz.
Aus der ersten Hälfte des 13. Jhdts. Stammt eine Sammelhandschrift im Kloster Benediktbeuern, die die größte Sammlung weltlicher Lyrik des Hochmittelalters (ca. 300 Gedichte) enthält, die so genannten Carmina Burana (Vertonung eininger Stücke durch Carl Orff!); dem Sammlungscharakter entsprechend sind die Themen bunt: Zeitkritik, Liebe, Vagantentum, antike Stoffe, Messparodie, usw; auch einige mittelhochdeutsche Stücke sowie lat. Oster- und Weihnachtsspiele befinden sich darunter.
Text 54: O Fortuna (Carmina Burana 17)
1. O Fortuna
velut luna
statu variabilis,
semper crescis
aut decrescis
vita detestabilis
nunc
obduratet tunc curat
ludo mentis aciem;
2. Sors immanis
et inanis
rota tu volubilis,
status malus,
vana salus
semper dissolubilis,
obumbrata
et velata
mihi quoque niteris:
nunc per ludum
dorsum nudum
fero tui sceleris.
3. Sors salutis
et virtutis
mihi nunc contraria,
est affectus
et defectus
semper in angaria.
Hac in hora
sine mora
chordae pulsum tangite;
quod per sortem
sternit fortem,
mecum omnes plangite.
Text 55: Geldevangelium (Carmina Burana 44)
Initium sancti evangelii secundum marcas argenti
In illo tempore dixit papa Romanis: "Cum venerit filius hominis ad sedem maiestatis nostrae, primum dicite: 'Amice, ad quid venisti?' At ille si perseveravit pulsans nil dans vobis, eicite eum in tenebras exteriores!" Factum est autem, ut quidam pauper clericus veniret ad curiam domini papae et exclamavit dicens: "Miseremini mei saltem vos,
hostiarii papae, quia manus paupertatis tetigit me. Ego vero egenus et pauper sum; ideo peto, ut subveniatis calamitati et miseriae meae." Illi autem audientes indignati sunt valde et dixerunt: "Amice, paupertas tua tecum sit in perditione. Vade retro, satanas, quia non sapias ea, quae sapiunt nummi. Amen, amen, dico tibi: non intrabis in gaudium domini tui, donec dederis novissimum quadrantem." Pauper vero abiit et vendidit pallium et tunicam et universa, quae habuit, et dedit cardinalibus et hostiariis et camerariis. At illi dixerunt: "Et hoc quid est inter tantos?" Et eiecerunt eum ante fores et egressus foras flevit amare et non habens consolationem. Postea venit ad curiam quidam clericus dives, incrassatus, impinguatus, dilatatus, qui propter seditionem fecerat homicidium. Hic primo dedit hostiario, secundo camerario, tertio cardinalibus. At illi arbitrati sunt inter eos, quod essent plus accepturi. Audiens autem dominus papa cardinales et ministros plurima dona a clerico accepisse infirmatus est usque ad mortem. Dives vero misit sibi electuarium aureum et argenteum et statim sanatus est. Tunc dominus papa ad se vocavit cardinales et ministros et dixit eis: "Fratres, videte, ne aliquis vos seducat inanibus verbis. Exemplum enim do vobis, ut, quemadmodum ego capio, ita et vos capiatis."
Text 56: Säufer-Vaterunser (Aus einer Münchner Handschrift (München, lat. 388 fol. 108v))
Potus noster, qui es in cypho, multiplicetur nomen tuum, adveniat potestas tua sicut in cypho et in
aula. Panem album bene coctum et bonum vinum da nobis hodie et in omni tempore et dimitte nobis pocula nostra sicut et nos dimittimus potatoribus nostris. Et ne nos inducas in ebrietatem, sed libera nos a cypho vacuo. Stramen.
Text 56a: Das lateinische Vaterunser
Pater noster, qui es in coelis, sanctificetur nomen tuum. Adveniat regnum tuum, fiat voluntas tua sicut in coelis et in terris. Panem nostrum cottidianum da nobis hodie et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris. Et ne nos inducas in temptationem sed libera nos a malo. Amen.
Das Spätmittelalter, ein noch schlecht erforschter Abschnitt der Literaturgeschichte, lässt sich grob in zwei parallele geistige Strömungen gliedern: Mystik und Scholastik. Letztere entwickelt sich, als die immer noch vom Neuplatonismus Augustinus' geprägte Weltsicht und Theologie des Hochmittelalters mit der bisher nur in kleinen Stücken bekannten sonstigen Philosophie der Griechen, v. a. des Aristoteles konfrontiert wird un diese sich nutzbar zu machen versucht. Die Werke des Aristoteles waren zunächst nach der Expansion des Islam ins Arabische übersetzt worden, gelangten so ins arabisch-christlich gemischte (so genannte mozarabisch) Spanien (Zentrum Toledo) und wurden dort im 10./11. Jhdt. aus dem Arabischen ins Lateinsiche übertragen. Die auf diese Art neu ins Abendland geratenen Elemente der aristotelischen Philosophie, v. a. das Betreiben einer aus der Natur selbst (und nicht aus der Theologie) gewonnenen Kritierien systematisierten Naturwissenschaft, sowie die strenge aristotelische Logik werden nun zu Schwerpunkten des geistigen Betriebes der so genannten Scholastik. Dabei gewinnen freilich Aristoteles und andere Autoren als Autoritäten solchen Rang (vergleichbar den "Patres" in der Theologie), dass sich eine eigene Naturforschung über das bei den Autoritäten zu findende Material hinaus kaum entwickelt. Dies bleibt der Renaissance vorbehalten (Wiederentdeckung des Lukrez durch > Poggio).
- Theologie, Philosophie
- Als erster, noch vorsichtiger Vertreter der neuen Denkweise gilt ANSELM VON CANTERBURY (1033 - 1109), der als streitbarer Kirchenpolitiker zeitweise im Exil saß. Genannt seien das Prosologion, ein Gottesbeweis im Dialog mit Gott, und die Schrift Cur Deus homo? Zur Frage der Menschwerdung Gottes in Christus.
Deutlich weiter ging bereits PETRUS ABAELARDUS (1079 - 1142), der nach dem unangenhmen Ausgang seiner Beziehung zu Heloise Geistlicher wurde. In seiner Theologia, einem Versuch, die christliche Heilslehre aristotelisch und umfassend (auch das ist ein Charakteristikum der Scholastik) darzustellen, drängt er u. a. die Prädestinationslehre Augustinus zurück. Die Schrift Sic et non stellt zu diversen theolog. Problemen (scheinbar) widersprüchliche Aussagen der Bibel und christlicher Autoritäten einander gegenüber und demonstriert, wie man auf dieser Basis mit Logik und Methode zu einer Lösung kommen kann, auch dies eine typisch scholastische Vorgangsweise.
Lieblingsfeind Abaelards war BERNHARD VON CLAIRVAUX (1090 - 1153), der 1112 in das erst 1098 gegründete Urkloster der Zisterzienser, Cîteaux, eintrat, mit seiner Neugründung Clairvaux sowie an die hundert weiteren Tochtergründungen aber zum eigentlichen geistigen Stifter des Zisterzienserordens (eines reformierten Zweiges der Benediktiner) wurde. Für ihn ist, obwohl er mit der Scholastik durchaus vertraut war, derartiges Wissen bestenfalls Zeitvertreib, als an Marienvisionen gewöhnter Mystiker (man kann ihn als Begründer der spätmittlealterlichen Mystik ansehen) baut er allein auf Liebe und Demut. Die Zahl seiner theologischen Werke ist hoch (z. B. De diligendo Deo; Predigten [sermones] über das Hohelied), und v. a. als Prediger erwarb sich der unglaublich charismatische Bernhard großen Ruhm.
Text 57: Aus einer Kreuzzugspredigt des Bernhard von Clairvaux (1146) (Bern. Clarav. Epist 363, PL 182, 566C - 567A)
Quia ergo fecunda est virorum fortium terra vestra et robusta noscitur iuventute referta, sicut laus est vestra in universo mundo et virtutis vestrae fama replevit universum orbem, accingimini et vos viriliter et felicia arma accipite christiani nominis zelo. Cesset pristina illa non militia, sed malitia, qua soletis invicem sternere, invicem perdere, ut ab invicem consumamini. (...) Habes nunc, fortis miles, habes, vir bellicose, ubi dimices absque periculo, ubi et vincere gloria et mori lucrum! Si prudens mercator es, si conquisitor huius saeculi, magnas quasdam tibi nundinas indico: vide, ne pereant! Suscipe crucis signum, et omnium pariter, de quibus corde contrito confessionem feceris, indulgentiam obtinebis. Materia ipsa si emitur, parvi constat; si devoto assumitis humero, valet sine dubio regnum Dei. Bene ergo fecerunt, qui coeleste iam signaculum susceperunt; bene ceteri faciunt, si festinent et ipsi apprehendere, quod et eis in salutem existat.
- Theologie, Philosophie
- Den Höhepunkt der Scholastik in Deutschland bringt der Schwabe ALBERTUS MAGNUS (ca. 1200 - 1280), der neben theologischen Werken v.a. Kommentare zu fast allen Werken des Aristoteles schrieb, wobei sein persönliches Interesse am meisten den botanischen und zoologischen Themen galt. Ihm wurde zunehmend die schlechte Qualität des auf dem Umweg über das Arabische doch recht beschädigten Aristotelestextes bewusst, ein Problem, an das sich der Dominikaner WILHELM VON MOERBEKE aus Brabant (1215 - 1286) wagte, der sich viel in Griechenland aufhielt (er war auch Erzbischof von Korinth) und diese Chance nützte, sich die griechischen Originaltexte des Aristoteles, Archimedes u. v. a. zu verschaffen und ins Lateinsiche zu übersetzen.
Dem in der Scholastik wichigen Dominikanerorden gehörte auch der scholastische "Cheftheologe" THOMAS VON AQUIN (1224/25 - 1274) an, Schüler des Albertus Magnus. Mit unglaublicher Arbeitskraft und großem Konzentrationsvermögen schuf er ein riesiges Oeuvre, aus dem v. a. die (nicht ganz vollendete) Summa theologiae hervorragt. Sie gilt als das best geordnete und bis heute fundamentale Werk des Katholizismus; bekannt sind etwa die "quinque viae", die fünf Gottesbeweise.
Text 58: Der zweite Gottesbeweis: die Wirkursache (Thomas von Aquin, Summa theologiae, quaestio 2, art. 3)
Secunda via est ex ratione causae efficientis. Invenimus enim in istis sensibilibus esse ordinem causarum efficientium; nec tamen invenitur nec est possibile, quod aliquid sit causa efficiens sui ipsius, quia esset prius se ipso, quod est impossibile. Non autem est possibile, quod in causis efficientibus procedatur in infinitum, quia in omnibus causis efficientibus ordinatis primum est causa medii et medium est causa ultimi, sive media sint plura, sive unum tantum. Remota autem causa removetur effectus. Ergo, si non fuerit primum in causis efficientibus, non erit ultimum nec medium. Sed si procedatur in infinitum in causis efficientibus, non erit prima causa efficiens; et sic non erit nec effectus ultimus nec causae efficientes mediae, quod patet esse falsum. Ergo necesse est ponere aliquam causam efficientem primam, quam omnes deum nominant.
Wichtigstes Produkt der Scholastik außerhalb der Theologie sind wohl die Schriften des Dominikaners VINZENZ VON BEAUVAIS (ca. 1200 - 1264), neben De morali principis institutione (einem Fürstenspiegel) vor allem das Speculum maius (speculum = Spiegel: umfassende Darstellung, "Abbildung" eines bestimmen Gegenstandes), eine umfangreiche und selbst entlegene Quellen in sich vereinende Enzyklopädie, die bis in die Renaissance Verwendung fand und aus drei Teilen besteht: Speculum naturale (32 Bücher: Geologie, Botanik, Zoologie, Medizin, Ethnologie), Speculum doctrinale (17 Bücher: Überblick über alle Wissenschaften, Wissenschaftstheorie), Speculum historale (31 Bücher: Weltgeschichte der Schöpfung bis gegen 1250).
Eine Sammlung ganz anderer Art ist die nach dem Kalender geordnete Heligenlegendensammlung des JACOBUS DE VORAGINE (1226/29 - 1298) die Legenda aurea. Mit über tausend Handschriften in ganz Europa ist sie das beliebteste Werk ihrer Art, wurde aber je nach Gegend gern um regionale Heilige erweitert.
Text 59: De Sancto Christophoro (Legenda Aurea 96, 43 - 60)
Evolutis multis diebus cum in domuncula sua quiesceret, audivit vocem cuiusdam pueri se vocantis et dicentis: "Christophore, veni foras et me ipsum traducas!" Concitus Christophorus exsiliit, sed neminem repperit. Rediensque in domunculam praedictam iterum vocem se acclamantis audivit. Qui rursus foras cucurrit sed neminem invenit. Tertia vice ab eodem ut prius vocatus exiit et puerum quendam iuxta ripam fluminis invenit, qui Christophorum, ut se traducere obnixe rogavit. Christophorus igitur puerum sibi in umeris elevans et baculum suum accipiens flumen transiturus intravit. Et ecce, aqua fluminis paulatim intumescebat et puer instar plumbi gravissime ponderabat. Quantoque magis procedebat, tanto amplius unda crescebat et puer magis ac magis Christophori umeros pondere intolerabili deprimebat, adeo ut Christophorus in angustia multa positus esset et se periclitari plurimum formidaret. Sed cum vix evasisset et fluvium transfretasset, puerum in ripa deposuit eique dixit: "In magno periculo, puer, me posuisti et adeo
ponderasti, quod, si totum mundum super me habuissem, vix maiora pondera praesensissem." Ad quem puer respondit: "Ne mireris, Christophore, quia non solum totum mundum super te habuisti, sed etiam illum, qui creavit mundum, tuis umeris
baiulasti. Ego enim sum Christus rex tuus, cui in hoc opere ipse deservis. Et ut me verum dicere comprobes, cum pertransieris, baculum tuum iuxta domunculam tuam in terram fige et mane ipsum floruisse et
fructificasse videbis." Statimque ab oculis eius evanuit. Veniens igitur Christophorus cum baculum suum in terram fixisset, mane surgens invenit ipsum ad modum palmae frondes et dactylos pertulisse.
Text 60: De Sancto Francisco (Legenda Aurea 155, 125 - 128 & 156 - 163)
In visione dei servus supra se Seraphim crucifixum aspexit, qui crucifixionis suae signa sic evidenter ei impressit, ut crucifixus videretur et ipse. Consignantur manus et pedes et latus crucis charactere, sed diligenti studio ab omnium oculis ipsa stigmata abscondebat. Quidam tamen haec in vita viderunt, sed in morte plurimi conspexerunt. Quod autem haec stigmata per omnia vera exstiterint, multis miraculis est ostensum.
[...]
[Franciscus] Columbina simplicitate plenus omnes creaturas ad creatoris hortatur amorem, praedicat avibus, auditur ab iis, tanguntur ab ipso nec nisi licentiatae recedunt; hirundines, dum eo praedicante garrirent, ipso imperante protinus conticescunt. Apud
Portiunculam iuxta eius cellam cicada in ficu residens frequenter canebat; quam vir Dei manum extendens vocavit dicens: "Soror mea cicada, veni ad me." Quae statim oboediens super eius manum ascendit. Cui ille: "Canta, mea cicada, et dominum tuum lauda!" Quae protinus canens nonnisi licentiata recessit. Parcit lucernis, lampadibus et candelis, nolens sua manu deturpare fulgorem.
Als Endpunkt der mittelalterlichen Literatur gilt traditionell der Florentiner DANTE Alighieri (1265 - 1321), dessen Hauptwerk, die (Divina) Commedia in der toskanischen Volkssprache verfasst ist. Lateinisch ist hingegen De monarchia, eine staatstheoretische Schrift für ein starkes Kaisertum und gegen die weltlichen Ansprüche des Papstes. Auch De vulgari eloquentia ("Über die Volkssprache"; nämlich die Frage, ob man literarische Werke in ihr verfassen sollte, was natürlich bejaht wird) ist lateinisch gefasst.
Text 61: Dante, de vulgari eloquentia 1, 8
Totum vero, quod in Europa restat, tertium tenuit idioma, licet nunc
trifarium videatur: nam alii
oc, alii
oil, alii
sì affirmando loquuntur, ut
puta Hispani, Franci et Latini. Signum autem, quod ab uno eodemque idiomate istarum trium gentium progrediantur vulgaria, in promptu est, quia multa per eadem vocabula nominare videntur, ut "Deum", "caelum", "amorem", "mare", "terram", "est", "vivit", "moritur", "amat", alia fere omnia. Istorum vero proferentes
oc meridionalis Europa tenent partem occidentalem, a
Ianuensium finibus incipientes. Qui autem
sì/I> dicunt a praedictis finibus orientalem tenent, videlicet usque ad promonturium illud Italiae, qua sinus Adriatici maris incipit, et Siciliam. Sed loquentes oil quodam modo septentrionales sunt respectu istorum; nam ab oriente Alamannos habent et ab occidente et septentrione Anglico mari vallati sunt et montibus Aragoniae terminati; a meridie quoque Provencialibus et Apennini devexione clauduntur.
Die weltliche lateinische Dichtung erreicht um 1300 einen Tiefpunkt; die geistliche Dichtung hingegen läuft ungebrochen weiter (> Sequenzen) und ist noch schlecht erforscht.
^ VI. HUMANISMUS UND RENAISSANCE, BAROCK
Gegenüber dem sich allmählich tot laufenden naturwissenschaftlich-theologischen Betrieb der Scholastik wendet sich der in Italien aufkeimende Humanismus den Studia humanoria (ethikzentrierte Philosophie, Geschichte, Kunst) zu, koppelt diese von der mittelalterlichen Bevormundung durch die Theologie ab und beginnt, sie nach ihnen selbst innewohnenden natürlichen Kriterien zu organisieren. Da man damit zu einer der klassischen Antike eng verwandten Geisteshaltung findet, wendet man sich konsequent der Antike zu, versucht sich mit ihr zu messen und an sie anzuschließen, während die dazwischen liegende Zeit nur noch als "Durchhänger", eben als "Mittelalter" empfunden wird. Gleichzeitig erwachsen historisches und nationales Bewusstsein.
Als Ahnherren des Humanismus wertet man üblicherweise FRANCESCO PETRARCA (1304 - 1374). Sein Canzioniere (Sonette auf seine Liebe zu Laura) gilt als Meilenstein der italienischen Dichtung, die Hauptwerke jedoch entstanden in lateinischer Sprache: Das Epos Africa (9 Bücher) behandelt den Sieg des älteren Scipio über Hannibal, auf einer höheren Ebene die Perspektive auf die Erlösung der Menschheit durch das Christentum, die erst durch die Ausbreitung des römischen Reiches möglich wird; in ihrer Vielschichtigkeit stellt die Africa vielleicht die einzige angemessene Nach-Schöpfung der Aeneis Vergils dar. Zeugnis für die Hinwendung zur Antike ist auch De viris illustribus, eine Biographiensammlung v. a. antiker Persönlichkeiten.
Freund Petrarcas war Giovanni BOCCACCIO (1313 - 1375), heute vor allem für sein Decameron (italienischer Novellenzyklus) berühmt. In späteren Jahren wandte er sich mehr dem Lateinischen zu: De mulieribus claris ist eine Sammlung von Biographien berühmter Frauen fast nur der Antike (gut hundert) und fungiert quasi als Gegenstück zu Petrarcas Männersammlung. Noch bedeutender wurde De genealogiis deorum gentilium (15 Bücher), der erste Versuch, den klassiscen Mythos in seiner Gesamtheit systematisch darzustellen. Das hier gesammelte Material bzw. auch die hier unterlaufenen Irrtümer wirken z. T. bis in die deutsche Klassik nach.
- Geschichte, Neusprachliche Philologien
- Weniger für seine eigenen Schriften (z. B. Liber facetiarum, eine Sammlung von z. T. recht derben Anekdoten; weiters eine Geschichte der Stadt Florenz) ist Gian Francesco POGGIO Bracciolini (1380 - 1459) bekannt, als für seine Handschriftenfunde, die er v. a. als päpstlicher Sekretär auf dem Konzil von Konstanz (1414/15) in süddeutschen Klöstern machte und so eine Reihe in Italien verlorener Werke (Lukrez, Statius, 12 Plautuskomödien, ...) dem italienischen Humansismus zugänglich machte. Auch an der Entwicklung der modernen Druckschrift aus der irrtümlich für Antik gehaltenen karolingischen Minuskel war er führend beteiligt. Er verfertigte überdies auch zahlreiche Übersetzungen griechischer Werke: Zur Zeit der Eroberung Konstantinopels (1453) flohen die meisten griechischen Gelehrten nach Italien und begründeten gewissermaßen die seit der Spätantike unterbrochenen abendländischen Griechischkenntnisse neu. Dies wird zum letzten Anstoß für die "Explosion" der Renaissance.
- Neusprachliche Philologien
- Als Begründer der Literaturgeschichte als eigenes Fach gilt SICCO POLENTON (erste Hälfte 15. Jhdt.). Sein Werk Scriptorum illustrium linguae Latinae libri XVIII umfasst mehr als hundert Autoren, wenn auch z. T. noch schlimme Irrtümer unterlaufen.
- Kunstgeschichte
- Künstlerische Leitpersönlichkeit der Frührenaissance ist Leon Battista ALBERTI (1404 - 1472). Seine Schriften De pictura, De statua und De re aedificatoria bilden die kunsttheoretischen Grundlangen seiner Zeit und zeigen eine gegenüber der Antike (> Vitruv) noch relativ unabhängige Haltung, die später z. T. verloren ging.
Höhepunkt der humanistischen Lyrik ist wohl GIOVANNI PONTANO (1426 - 1503),
Akademiehaupt in Neapel, berühmt vor allem für seine feinen Schilderungen von Stimmungen und Lichtreflexen der Landschaft Süditaliens in verschiedenen kleineren Gedichten. Relativ bekannt ist auch sein astronomisches Lehrgedicht Urania, in dem, wie häufig in der in der frühen Neuzeit beliebten Gattung "Lehrgedicht", das oberflächliche Thema als Folie zur Darstellung moralischer, sozialer und politischer Inhalte dient (vgl. Vergils Georgica).
- Geschichte, Neusprachliche Philologien
- Wichtiger Vertreter des Florentiner Humanismus und Vertrauter der Medici war Angelo POLIZIANO (1454 - 1494), dessen Miscellanorum centuria prima (Erste Hundertergruppe an Allerlei), eine Aufsatzsammlung zu antikenwissenschaftlichen Themen, als Meilenstein in der Geschichte dieses Faches gelten. Sehr gelehrt wriken auch seine Gedichtsammlungen, z. B. die Sylvae (> Statius). Seine auf italienisch geschriebene Favola d'Orfeo diente später Claudio Monteverdi als Vorbild für seine Oper Orfeo.
In der zweiten Hälfte des 15. Jhdts. greift auch das Europa nördlich der Alpen, v. a. Deutschland, den Humanismus allmählich auf. Eine der Vermittlerfiguren dabei war Enea Silvio de PICCOLOMINI (1405 - 1464), der als Sekretär Friedrichs III längere Zeit in Wien
weilte und 1458 als PIUS II Papst wurde, worauf er v. a. die Verfasserschaft der Liebesnovelle
Historia die duobus amantibus (später als "Euryalus und Lukrezia" bekannt) möglichst zu
vergessen suchte. Seine Historia Austrialis ist die erste, noch etwas unvollständige österreichische Geschichte und enthält neben wertvollem Quellenmaterial auch eine recht
kritische Beschreibung Wiens.
Text 62: Eine nicht sehr freundliche Beschreibung Wiens (En. Silv. Picc., hist. rer. Frid. III, praef.)
Verum apud Viennam parvum flumen est nomine Vienna; ab eoque dictum [esse] oppidum putant. At sive flumen a civitate sive civitas a flumine vocabulum trahat, id mihi non est exploratum. Vero tamen similius id videtur (ea), quae digniora sunt, vilioribus dare nomina; quippe Vienna, de qua sermo est, non tam fluvius est quam torrens, indignus, a quo nomen
insignis urbs assumeret. ...
Incredibile videri potest, quot
victualia per dies singulos in civitatem
ingeruntur. Ubi advesperascit, nihil venale ex his invenies.
Ceterum in tanta et tam nobili civitate multa enormia sunt. Die noctuque
rixae ad modum proelii geruntur; nunc artifices contra studentes, nunc
curiales in artifices, nunc isti opifices adversus alios arma sumunt. Rara
celebritas sine homicidio peragitur, frequentes caedes committuntur. Ubi
rixa est, non sunt, qui dividant contendentes, neque magistratus neque
principes custodiam, ut pax esset, ad tanta mala adhibent.
Vinum domi vendere nihil existimationi officit, omnes fere cives vinarias tabernas colunt.
Plebs ventri dedita, vorax, quidquid hebdomada manu quaesivit, id die festo totum absumit. Lacerum et incompositum vulgus; meretricum maximus numerus. Raro mulier est uno contenta viro. Nobiles, ubi ad cives veniunt, uxores eorum ad colloquium secretum trahunt; viri allato vino domo abeunt ceduntque nobilibus. Plurimaeque puellae patribus insciis viros sibi deligunt. Viduae intra tempora luctus ex arbitrio suo nubunt. Pauci in civitate sunt, quorum proavos vicinia noverit; rarae familiae vetustae, advenae aut inquilini fere omnes. Mercatores divites senio confecti puellas in matrimonium ducunt easque brevi dimittunt viduas. Captatores hereditatum multi, qui senibus blandientes scribi heredes sese curant. Aiunt et mulieres esse admodum multas, quae viros graves uxoribus veneno auferunt.
Vivunt praeterea sine ulla scripta lege; mores aiunt se tenere vetustos, quos
saepe ad suum sensum vel adducunt vel interpretantur. Ius admodum
venale est; qui possidunt, sine poena peccant; pauperes atque nudos ab
amicis iudicia plectunt.
Iuramenta, quae publica sunt, tenaciter observant;
quod negari iuratum potest, nullam vim habet.
- Philosophie, Theologie
- Etwa zeitgleich wirkte auch Nicolaus CUSANUS (Nikolaus von Kues, 1401 - 1464), Kirchenpolitiker und Philosoph. Seine philosophischen Werke bahnten den Weg zum Weltbild der Neuzeit: Die Welt ist nicht unbewegt, Welt und Kosmos sind unbegrenzt, ihre einzelnen Erscheinungen aber quantitativ messbar; kein ruhender Mittelpunkt; Pantheismus.
Für die Entwicklung der Sprachkenntnisse in Deutschland war Johannes REUCHLIN (gräzisiert: Kapnion) bedeutend: Er lehrte nicht nur Griechisch, sondern trat auch für die Erschließung des Hebräischen ein. Dabei geriet er in Streit mit der theologischen Fakultät Köln, als er der Forderung eines Konvertiten (Joh. Pfefferkorn) nach Verbrennung des jüdischen Schrifttums entgegentrat. In diese Auseinandersetzung griffen bedeutende Humanisten ein und gaben 1515 und 1517 Sammlungen von fingierten und mehr oder minder schwachsinnigen Unterstützungsbriefen für die Kölner Theologen heraus, die so genannten Dunkelmännerbriefe (Epistulae obscurorum virorum), eine glänzende satirische Abrechnung mit der ihm längst geistig unterlegenen Scholastik.
- Geschichte, Neusprachliche Philologien
- Großer Anreger und Organisator der Geisteswissenschaften war Conrad CELTIS (1459 - 1508), seit 1497 erster Professor für Poetik, Rhetorik, Philosophie, Geographie und Weltgeschichte an der Universtität Wien, der unter anderem die Werke der > Hrotsvith v. Gandersheim wieder entdeckte.
Als Dichter schuf er große Mengen von Gelgenheitsgedichten zu festlichen Anlässen: Es sei hier darauf hingewiesen, dass die Produktion derartiger (oft panegyrischer) lateinischer Gedichte bis weit ins 18. Jhdt. einen jedenfalls quantitativ, gelegentlich auch qualitativ beduetenden Zweig der Poesie in den meisten Ländern Europas ausmacht, der aber noch wenig erforscht ist. Als Historiker schuf Celtis den ersten kulturgeschichtlichen Abriss Deutschlands (Germania generalis).
- Geschichte
- Nachfolger Celtis' auf dem Wiener Lehrstuhl und Rektor im Studienjahr 1500/01 war Johannes CUSPINIANUS (J. Spießhaymer, 1473 - 1529), der v. a. als Wiederentdecker des Otto von Freising sowie als Verfasser eigener historischer Werke wichtig ist: Caesares (Biographienserie fast aller römischen, byzantinischen und röm.-deutscher Kaiser samt den türkischen Sultanen); Austria (die erste brauchbare historisch-geographische Landeskunde v. a. Niederösterreichs).
Unter den verschiedenen satirischen, historischen, politischen und theologischen Werken des Lordkanzlers von England, Thomas MORUS (Th. More, 1478 - 1535), ragt sein Libellus ... de optimo reipublicae statu deque nova insula Utopia (Kurztitel: Utopia) hervor, der erste moderne Staatsroman, der durch seine Wortschöpfung "Utopia" ("Nirgendwoland") namensgebend für eine ganze Gattung wurde. Ein Seemann erzählt von einer fernen, ideal-paradiesischen Insel, auf der es Gütergemeinschaft, religiöse Toleranz, Unterwürfigkeit der Frauen, 6-Stunden Arbeitstag und polytechnischen Unterricht für alle gibt.
Zentralfigur des Humanismus ist Desiderius ERASMUS von Rotterdam (1469 - 1536), der als Unversalgelehrter ganz Europa durchreiste, in ständigem Briefwechsel mit allen Gelehrten der Zeit stand (ca. 3000 Briefe sind erhalten), eine Reihe bedeuntender Textausgaben veranstaltete (darunter das Neue Testament, Grundlage für die Bilbelübersetzung Luthers) und versuchte, in der ausgebrochenen Kirchenspaltung einen tolerant-distanzierten Standpunkt zu bewahren, bis er sich mit Luther über die Frage der Willensfreiheit bzw. Gnadenlehre (Schrift De libero arbitrio; > Augustinus) zerstritt. Zum Bestseller entwickelte sich das Encomium moriae seu laus stultitiae ("Lob der Torheit"), eine Satire auf Un- und Halbgebildete, die von Hans Holbein d. J. illustriert wurde.
- Geschichte, Neusprachliche Philologien
- Aus der Zeit des Übergangs von der Renaissance zum Barock seien die beiden Scaliger genannt: Julius Caesar SCALIGER (1484 - 1558), in Frankreich tätige italienischer Philologe und Mediziner, verfasste mit den Poetices libri VII (Sieben Bücher der Poetik) jene Literaturtheorie, die z. B. für die französische Dramatik (Corneille, Racine) die Grundlage bildet. Sein Sohn Joseph Justus SCALIGER (1540 - 1609) ist als Begründer einer tragfähigen Chronologie der antiken Geschichte für die Historiographie bedeutend.
- Geschichte, Philosophie
- Philologe war auch Justus LIPSIUS (Josef Lips, 1547 - 1606), der zuerst an der protestantischen Universität Leiden lehrte, dann konvertierte und an die Konkurrenzuniversität Löwen (Leuven) in den katholischen Niederlanden wechselte. Wichtig ist er auch als Philosoph (Erneuerer der Stoa); Werke sind v. a. De constantia (Über die Standhaftigkeit); Politicarum sive civilis doctrinae libri VI (ein Handbuch für den absolutistischen Fürsten). Kennzeichen aller seiner Werke ist die Sehnsucht nach Toleranz und religiösem Frieden.
Wie die Person des Lipsius zeigt, liegt um 1600 das Zentrum der europäischen Geisteskultur in den Niederlanden, wobei allgemein der durch die Reformation zunächst zurückgedrängte Katholizismus im Zuge der Gegenreformation wieder an Boden gewinnt. Getragen wird dieser Prozess vor allem vom 1534/40 gegründeten Jesuitenorden, dessen Gymnasien (über das ganze katholische Europa sowie Südamerika verteilt, mit überall einheitlichem Lehrplan und Unterrichtssprache Latein) die anerkannt besten Bildungsstätten ihrer Zeit waren. Zum Zweck der Rekatholisierung wurden alle verfügbaren Mittel herangezogen, vor allem das für die Barockzeit so typische Theater (so genanntes Jesuitentheater). Man kann es als die letzte breitenwirksame Hervorbringung der schönen Literatur im Lateinsichen sehen.
^ VII. AUSBLICK AUF DIE SPÄTERE NEUZEIT
Im Lauf des späten 17. und des 18. Jhdts. verliert Latein im Bereich der "schönen Literatur" zunehmend an Boden gegenüber den Nationalsprachen: Man sollte dabei aber die immer noch großen Quantitäten nicht unterschätzen: Noch um 1600 werden in Europa pro Jahr mehr lateinische Bücher gedruckt als in allen Nationalsprachen zusammen, und die Umkehr dieses Verhältnisses geht nur zögernd im Lauf des 17. Jhdts. vor sich. Unangefochten bis ins 19. Jhdt. in Ausläufern bis ins 20. Jhdt. bleibt Latein als Sprache der internationalen Wissenschaft: Naturwissenschaftler wie Johnaes KEPLER (1571 - 1630) oder Sir Isaac Newton (1643 - 1727) schreiben ihre Werke ebeso selbstverständlich auf Latein wie der Jurist Hugo GROTIUS (1583 - 1645, Begründer des modernen Völkerrechts), der Universalgelehrte Athanasius KIRCHER (1601 - 1680) oder die Philosophen SPINOZA (1632 - 1677) und LEIBNIZ (1646 - 1716). Als Sprache der katholischen Kirche sowie als Inschriften- und Denkmalsprache ist das Lateinsiche auch heute noch präsent.
Text 63: Gaudeamus igitur!
1. Gaudeamus igitur, | 2. Ubi sunt, qui ante nos
|
iuvenes dum sumus; | in mundo fuere?
|
post iucundam iuventutem, | Abeas ad inferos
|
post molestam senectutem | transeas ad superos,
|
nos habebit humus. | hos si vis videre.
|
|
3. Vita nostra brevis est, | 4. Vivat academia,
|
brevi finietur | vivant professores,
|
Venit mors velociter, | vivat membrum quodlibet,
|
rapit nos atrociter, | vivant membra quaelibet,
|
nemini parcetur. | semper sint in flore!
|
|
5. Vivant omnes virgines | 6. Vivat et res publica
|
faciles, formosae, | et qui illam regit!
|
vivant et mulieres | Vivat nostra civitas,
|
tenerae, amabiles, | Maecenatum caritas,
|
bonae, laboriosae! | quae nos hic protegit!
|
|
7. Pereat tristitia,
|
pereant osores
|
pereat diabolus,
|
quivis antiburschius
|
atque irrisores!
|
Text 64: Die Promotionsformel der Universtität Wien für das Doktorat der Philosophie und Naturwissenschaften
Doctorandi clarissimi!
Dissertatione composita et
examinibus, quae
ad eorum, qui in philosophia vel in rebus naturalibus doctoris nomen atque honores consequi student,
doctrinam explorandam lege constituta sunt, cum laude
superatis, nos adistis, ut vos eo honore, quem appetetis, in hoc sollemni concessu ornemus.
Sed prius fides est danda, vos tales semper futuros, quales vos esse iubebit dignitas, quam obtinebitis, et nos speramus vos fore.
Spondebitis igitur:
Primum, vos huius
universitatis, in qua summum in philosophia vel in rebus naturalibus gradum ascenderitis, piam perpetuo
memoriam habituros eiusque res ac rationes, quoad poteritis, adiuturos;
Dein honorem, quem in vos collaturus sum, integrum incolumemque servaturos neque umquam pravis moribus aut vitae infamia commaculaturos;
Postremo, studia humanitatis impigro labore culturos et provecturos, non sordidi lucri causa nec ad vanam captandam gloriam, sed quo magis veritas propagetur et lux eius, qua salus humani generis continetur, clarius effulgeat.
Haec vos ex animi vestri sententia spondebitis ac pollicebimini!
Text 65: Eine Inschrift in der Aula der Universtität Wien
Alma mater Rudolphina 1365 d(ie) XII Mart(ii) Rudolpho VI duce Austriae approbante Urbano V p(ontifice) m(aximo) fundatur
ab Alberto III duce Austriae facultate theologica ex auctoritate Urbani VI p(ontificis) m(aximi) addita renovatur
primum leges sibi statuit
a Ferdinando I Rom(ano) rege reformatur
a Ferdinando II Rom(ano) imperatore societati Iesu committitur
imp(erantibus) Maria Theresia et Iosepho II rei publicae redditur
ab imp(eratore) Francisco Iosepho liberis legibus novisque sedibus ornatur eiusdemque auspiciis in dies magis florens 1884 hanc amplissimam domum accepit.
^ ANHANG
^ Die Abkürzungen der römischen Vornamen:
A. | Aulus
|
App. | Appius
|
C. | Gaius
|
Cn. | Gnaeus
|
D. | Decimus
|
K. | Kaeso
|
L. | Lucius
|
M. | Marcus
|
M'. | Manius
|
N. | Numerius
|
P. | Publius
|
Q. | Quintus
|
S. | Sextus
|
Ser. | Servius
|
Sex. | Sextus
|
Sp. | Spurius
|
T. | Titus
|
Ti. | Tiberius
|
Tib. | Tiberius
|
^ Literaturhinweise
- *BIELER, Ludwig, Geschichte der römischen Literatur, Berlin 41980 (Sammlung Göschen): Praktisches Taschenbuch, umfasst die antike lateinische Literatur bis ins 3. Jhdt. recht gut, die Spätantike ist nur sehr schwach behandelt.
- ¶SCHANZ, Martin, und HOSIUS, Carl, Geschichte der römischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian, 4 Teile, HBdA VIII (Auflagenzahlen und Erscheinungsjahre konfus, 1920 - 27): Alt, aber noch nicht ersetzt.
- ¶DROBNER, Hubertus R., Lehrbuch der Patrologie, Freiburg-Basel-Wien 1994: Gute Einführung in die latein. und griech. Literatur der Patristik; die Dichtung fehlt aber völlig.
- ¶BARDENHEWER, Otto, Geschichte der altkirchlichen Literatur, 5 Bde. 21913 (Nachdruck Darmstadt 1962): Sehr umfangreich, nahezu vollständig, aber eher antiquiert.
- ¶MANITIUS, Max, Geschichte der christlich-lateinischen Poesie bis zur Mitte des 8. Jhdts, Stuttgart 1891: Ist z. T. etwas antiquiert und erhält gemäß dem Titel nur die Dichtung der bezeichneten Zeit, diese dafür einigermaßen vollständig.
- *LANGOSCH, Karl, Mittellatein und Europa. Führung in die Hauptliteratur des Mittelalters, WBG Darmstadt 1990: Ziemlich weit gefasst, enthält im Prinzip auch die nationalsprachliche Literatur, dient aber meist nur zur ersten Information und reicht nur bis ca. 1200.
- ¶MANITIUS, Max, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, 3 Bde., München 1911 - 1931 (HBdA IX): Umfangreich, reicht aber nur bis ca. 1200 und ist z. T. recht veraltet.
- *BRUNHÖLZL, Franz, Die lateinische Literatur, in: Europäisches Spätmittelalter. Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Bd. 8, hgg. von Willi Erzgräber, Wiesbaden 1978, S. 519 - 563: Extrem knapp (schlecht erforschte Epoche); der Band konzentriert sich sonst v. a. auf die volkssprachliche Literatur.
- *LUDWIG, Walther, Die neulateinische Literatur als Aufgabe der lateinischen Philologie, in: Einleitung in die lateinische Philologie, hgg. von Fritz Graf, Stuttgart-Leipzig 1997, S. 323-356: Aufsatz zur allerersten Überblicksinformation.
- ¶YSEWYN (IJSEWIJN), Jozef, Companion to Neo-Latin Studies, 2 Bde., 2Leuven 1990/98 (Suppl. Human. Lovan. 5. 14): Umfangreich, aber weit von Vollständigkeit entfernt.
(* kleine Werke für den Alltagsgebrauch; ¶ größere, zitierbare Literaturgeschichten)